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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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zu mir etwas sagen müssen?«, fragte er dann so hastig, als sei es ihm eben erst eingefallen.
    Luise schüttelte den Kopf. »Gar nichts. Aber Georg«, bat sie eindringlich, »komm trotzdem nicht mehr. Du kannst ja … vielleicht leiht Vater dir die Druckmaschine.«
    Georg machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es wird sich schon etwas finden. Es ist doch sowieso verlorene Liebesmüh«, sagte er dann, »ich weiß gar nicht, wozu ich das überhaupt tue.«
    »Ich auch nicht«, meinte Luise und sah ihn das erste Mal wieder richtig an, seit sie sich damals, genau hier in der Werkstatt, so gestritten hatten. »Du bist doch kein Arbeiter«, sagte sie fast hart und sehr knapp, »du bist nicht mal mehr Handwerker.« Sie drehte sich um und sah aus der Werkstatt hinaus auf den Hof, wo der Lehrbub immer noch Autos betankte. Zwei weitere Wagen warteten. »Du bist Unternehmer geworden. Dir geht es doch gut, oder? Dein Geschäft läuft glänzend!«
    Georg war neben sie getreten und sah ebenfalls hinaus. Dann schaute er zu ihr herüber, hob die Augenbrauen und die Hände in einer Geste des Nichtverstehens. »Ja«, gab er zu, »mir geht es nicht schlecht. Aber …«, er zögerte, während er sich mit einem Tuch, das in seinem Overall steckte, bedächtig die Hände abwischte. »Es ist trotzdem falsch«, sagte er dann etwas leiser, »es ist einfach nicht recht. Ich … ich kann dir nicht genau sagen, warum ich so denke, ich bin ja kein Studierter. Ich … es ist einfach nicht recht.«
    Er wandte sich ab, nahm Luises Fahrrad und stellte es auf den Kopf. Dann drehte er die Kurbeln. Das Schutzblech klapperte und die Kette rasselte. Luise beobachtete ihn, wie er eine passende Schraube aus seinen Holzkästen suchte, mit der er das Schutzblech festschraubte. Dann lockerte er die Muttern des Hinterrades, straffte die Kette und zog die Muttern an. Die Handbewegungen waren sicher und schnell. Mit einem Griff stellte er das Fahrrad wieder auf die Reifen und schob es ihr hin. »Da«, sagte er, »jetzt klappert nichts mehr.«
    »Danke«, sagte Luise. Sie wandte sich zum Gehen, als Georg sich räusperte.
    Sie drehte sich um. »Ist noch was?«, fragte sie.
    Georg war rot geworden und sah nach draußen, wo der Pumpenhebel an der Säule gleichmäßig auf und ab ging. »Nein«, sagte er dann, »nur, dass es mir leid tut, wegen damals. Es tut mir leid, Luise«, sagte er noch einmal.
    »Ja«, antwortete Luise nach einer kleinen Pause und stieg auf ihr Rad, »ist gut.«
    Dann fuhr sie los, aber obwohl sie sich nicht umdrehte, wusste sie, dass Georg ihr nachblickte.

    Später am Abend begleitete sie Luana, die Milch holen ging. Sie trugen beide je eine Blechkanne, und Luise erinnerte sich, wie oft sie als Kind mit diesen Blechkannen die Straße entlanggerannt war, sommers wie winters, hinaus zum Lindenhof, der als Aussiedlerhof allein an der schnurgeraden Allee lag, die zur Deutschordensresidenz im sechs Kilometer entfernten Städtchen führte.
    Es war sehr still und sehr friedlich auf der Allee. Sie wurde kaum noch benutzt, seit die große Straße parallel zur Bahnlinie gebaut worden war. Die streng ausgerichteten Pappeln warfen lange Schatten. Alle Vögel sangen: Frühling. In München, dachte Luise, merkte man das gar nicht so. Da waren die anderen Geräusche ja so viel lauter. Da gab es keine fröhlich lärmenden Vogelabende. Aus der Stadt, und weiter entfernt von der Residenz noch einmal, kam das Abendläuten. Immerhin, dachte Luise in leisem Spott, man kann nicht hören, dass eine Kirche katholisch, die andere evangelisch ist.
    Luana ging neben ihr. Ihre Schritte waren leicht, und man hätte bei flüchtigem Hinsehen nicht gemerkt, dass sie schwanger war. Sie summte vor sich hin.
    »Sing doch«, bat Luise. Es hätte wunderbar zu dieser Abendstimmung gepasst.
    Luana lächelte kurz und sah herüber zu ihr. »Warum singst du nie?«
    Luise hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Ich kann nicht singen.«
    »Unsinn. Jeder Vogel kann singen.«
    Luise kam ein Gedanke, und sie musste lachen. »Dann bin ich ein Kuckuck«, sagte sie.
    Luana lachte auch. Sogar das hörte sich bei ihr an wie Singen.

    Auf dem Rückweg, die noch warme Milch in der Blechkanne, fragte Luise: »Hast du nie Heimweh?«
    Luana schwieg zunächst. Ihr klares Profil war dunkel im Gegenlicht, aber um die Spitzen ihrer langen Haare glitzerte die tiefstehende Sonne, sodass es fast wie ein Leuchten um sie war. Es schien, als mache die Schwangerschaft sie noch schöner, als sie

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