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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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einen in das andere Anwesen sehen.
    Als sie aus dem dunklen Gang, der an der Werkstatt vorbei und durch das Haus führte, in den Garten traten, wanderte der Schatten des Hauses schon allmählich über die kleine Wiesenfläche zur Stadtmauer, aber das helle Frühlingsgrün der Obstbäume war noch voll in der Sonne, und die Johannisbeeren rechts und links an den Zäunen hingen wie kleine rote Lichter in den Zweigen. Ein paar junge Leute standen um die Feuerstelle herum, die Georg auf der Mitte der Streuobstwiese gebaut hatte. Er hatte grobe Bänke aus der Schmiede geholt, deren Holz von Jahrzehnten Gebrauch und dem Ruß glatt und glänzend schwarz poliert waren, und dazu einen Tisch aus dem Haus, über den er ein Leintuch geworfen hatte. Ein frischer Laib Brot lag auf einem Brett, daneben standen Butter und Salz, Wurst, Käse und Schinken. In einer wassergefüllten Zinkwanne unter dem Tisch wurden die Bierflaschen gekühlt. Alles sah einfach und einladend aus, die Verlockung lag in der Fülle des Schlichten. Luana stellte die leuchtend grüne Bowle dazu.
    Georg begrüßte sie herzlich, schüttelte jedem die Hand und bot Luana nach einem ganz kurzen Blick auf ihre Taille ohne Zögern einen Platz auf einer der Bänke an. Luise war überrascht, dass Georg sofort Luanas Schwangerschaft bemerkt hatte. Pauls schmales Gesicht entspannte sich, und Luise sah, dass er sich wohl fühlte. Georg und er kannten sich auch noch aus der Zeit der gemeinsamen Fahrten, aber das war ja doch schon länger her, und für viele hatten die Zeiten sich geändert. Aber es schien, als ob Georg das einfach missachtete. Es war alles da, was zu einem bündischen Lagerfeuer gehörte, sogar eine Gitarre lag im Gras.
    »Hallo, Georg«, sagte Luise, als er sich ihr zuwandte.
    »Hallo, Luise«, antwortete er mit einem offenen Lächeln und sah für eine Sekunde so jungenhaft aus wie damals. Es war wohl in diesem Augenblick, dass ihm Luise das zerschlagene Flugzeug endgültig verzieh.
    »Danke für die Einladung.«
    »Es ist kein Fest«, sagte Georg heiter, »einfach ein Johannisfeuer.«
    Luise deutete spöttisch über seine Schulter auf die noch kalte Feuerstelle. »Bis jetzt ist es nur Johannisgestrüpp.«
    »Das Wichtigste vergessen!«
    Georg gab sich erschüttert, lief in die Schmiede und kam mit einem brennenden Fidibus zurück, mit dem er den Haufen ansteckte. Die ersten Flammen züngelten im Abendlicht blass durch die Zweige, gewannen an Kraft, es begann zu knistern, und der aromatische Rauch von Holunderzweigen stieg auf. Georg verteilte Bier, Luise nahm auch eines. Fast gleichzeitig ploppten die Verschlüsse, und Luana musste lachen.
    Dann standen sie um das Feuer herum, unterhielten sich über längst vergangene Fahrten nach Schweden oder auch nur den Main hinunter, sprachen über die Feiern der Jahre vor 33, erinnerten sich an nächtliches Schwimmen und Wanderungen durch Platzregen, durchfrorene Nächte und überstandene Kämpfe mit feuchten Zeltplanen. Die lange Dämmerung kam fast unmerklich, und man sah nur, dass das Feuer immer stärker leuchtete und die Bäume und Sträucher zusammenzurücken schienen. Irgendwann nahm Paul die Gitarre, schlug ein paar Akkorde, und dann sangen sie, leise zuerst, aber dann, als die Bowle und das Bier Wirkung zeigten, mit vollerer Stimme Fahrtenlieder und Abendlieder und Liebeslieder. Luana, die nur wenige Texte kannte, sang ausnahmsweise gar nicht, sondern summte vielleicht ein wenig mit, wiegte sich, auf einer Bank sitzend, leise im Takt und wirkte wie eine Gestalt aus ­Tausendundeiner Nacht. Luise beobachtete, wie Paul, obwohl er Gitarre spielte, kaum einen Moment die Augen von ihr nahm, und hatte ein wehmütiges Gefühl, als sie an einen Abend im Sommer dachte, an dem Greben sie vom Volksfest nach Hause gebracht hatte, als alles noch einfach und richtig erschienen war und sie sich schließlich auf einer Brücke über der Isar geküsst und wieder geküsst und da gestanden hatten, bis es auf einmal fünf Uhr geschlagen hatte und sie lachend über sich selbst in die erste Tram gestiegen waren. Sie war so mädchenhaft verliebt gewesen in diesen Hallodri, diesen überheblich-heiteren Junker, der auch deshalb so anziehend gewesen war, weil er sich selbst so unverhohlen großartig fand. Tja, dachte sie dann mit leisem Spott, und er war ja auch noch charmant und ein echter Gentleman gewesen, damals. Wie sich Menschen ändern konnten!
    Sie schüttelte den Kopf, wie um die Grillen loszuwerden, setzte sich zu Luana

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