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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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nicht an so einem schönen Abend. »Das weiß ich«, sagte sie, »das weiß ich. So bist du nicht.«
    Es war das erste Mal in diesem Gespräch, dass er die Augen ganz auf sie richtete. »Ich weiß schon«, sagte er dann, »es ist kein Leben bei uns. Da zieht einen nichts zurück, wenn man in der großen Stadt war. Hier ist alles eng und klein.«
    Luise spürte einen Tropfen. Sie sah nach oben. Der Himmel hatte sich ganz bezogen, die Sterne waren verschwunden und auch der Mond war nicht mehr zu erkennen. Aber noch regnete es nicht. In der Feuerstelle waberte die Glut dunkelrot. Es war windstill, und nun, da das Feuer nicht mehr rauchte und die Luft rein war, konnte man den unbestimmten, leichten Duft der vielen Blumen riechen, die in all den Gärten ringsum wuchsen.
    »In der Stadt gibt es so etwas nicht«, sagte Luise und machte eine Bewegung, die alles umfassen sollte: Paul und Luana und die beiden Jungen und Georg und das Feuer und den Garten. Sie wusste nicht, ob Georg ihre Geste gesehen hatte, aber er sagte stockend und mit abgewandtem Gesicht: »Es ist … es ist sehr schön, dass du wieder hier bist.«
    Wieder ein Tropfen. Luana erhob sich. »Regen«, sagte sie mit ihrer weichen Stimme, »ich helfe aufräumen.«
    Alle standen auf und stellten die Bänke zusammen, während es sanft zu nieseln begann. Die Kirchturmuhr schlug.
    »Ein Uhr«, sagte Paul fröhlich, während er zusammen mit Georg den groben Tisch hochkant unter den Baum stellte, »es ist schon Sonntag. Was für ein schöner Abend!«
    Als sie gingen, reichte Georg Luise als Letzter die Hand.
    »Auf bald«, sagte er, aber es hörte sich weniger wie ein Abschiedsgruß an als wie eine Bitte.
    Sie drückte seine feste, warme Hand.
    »Auf bald, Georg«, sagte sie und wusste eigentlich selbst nicht, ob es ein Versprechen oder ein Abschiedsgruß war.

13

    Ich hätte im Bett bleiben können, dachte Luise, als sie am folgenden Morgen zur Kirche ging. Es sah nicht so aus, als würden heute viele Leute zum Gottesdienst kommen. Bis um zwei Uhr war ein SA-Ehrensturm von der offiziellen Sonnwendfeier einigermaßen betrunken und singend durch die Straßen marschiert, die HJ war auch erst um diese Zeit in die Stadt zurückgekehrt, und dann waren sicher noch bis drei Uhr Lastkraftwagen durch die Stadt gefahren, die wahrscheinlich von der Wülzburg herunterkamen, wo man die Feuer trotz des Regens noch bis in den Morgen hatte sehen können. Aber obwohl sie lange nicht hatte einschlafen können und deswegen auch leichtes Kopfweh hatte – sie schob es auf die kurze Nacht und nicht auf die Waldmeisterbowle –, hatte sie beschlossen, in die Kirche zu gehen. Sie tat es mit ein wenig schlechtem Gewissen, denn ganz ehrlich sich selbst gegenüber war es nicht. Sie wollte im Grunde nicht darüber nachdenken, dass sie an keinen Gott mehr glaubte, aber sie ging auch nicht nur deshalb, weil sie immer gegangen war. Sie ging, weil sie fand, Papa sollte sie sehen. Es war wie ein Zeichen der Verbundenheit, und sie wollte, dass er das gerade in diesen Zeiten wusste.
    Es hatte in der Nacht nicht richtig geregnet, sondern nur weiter genieselt, und das Katzenkopfpflaster der Straßen war rutschig. Es hatte auch nicht abgekühlt; man konnte die Schwüle, die der Tag bringen würde, schon jetzt spüren.
    Sie war ein wenig zu früh, merkte sie nach einem Blick auf die Kirchturmuhr, es war noch fast eine Viertelstunde bis zum Gottesdienst. Sie hatte keine Lust, sich jetzt schon auf die harten Bänke zu setzen und ging durch das kleine eiserne Pförtchen, das immer offen stand, in den Kirchhof. Eigentlich war es eher ein Kirchgarten, in dem sie als kleines Mädchen öfter ­unter den Begräbnistafeln von Rittern und Amtsmännern längst vergangener Zeiten gespielt hatte, die in die Außenwand der Kirche eingelassen waren. Es war ein schöner, halb vergessener Ort: zu klein für einen öffentlichen Park und zu groß für einen privaten Garten. Eine Mauer, über die sie als Kind nicht hatte sehen können, umlief ihn. Und wie als Zeichen für den praktischen Geist dieser Stadt kamen ihr die Apfel- und Zwetschgenbäume vor, die hier auf dem aufgelassenen Friedhof wuchsen. Wozu sollten hier auch unnütze Bäume stehen, die keine Früchte trugen? Luise wusste nicht zu sagen, warum ihr das eben jetzt auffiel und sie sich darüber ärgerte, obwohl das doch nichts Schlechtes war.
    Sie ging langsam weiter und umrundete dabei den Chor, als sie plötzlich die Stimme ihres Vaters hörte. Anscheinend stand

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