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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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über sie selbst tuschelten, weshalb manche die ganze Familie hassten und eben wahrscheinlich auch Feinmann. Es kam, weil sie hier alle wirklich im Käfig bleiben wollten, selbst wenn die Tür geöffnet war. Weil sie in dieser Stadt Angst vor der Weite und der Fremde hatten. Und wahrscheinlich waren sie deshalb froh, dass sie jetzt in einem Deutschland lebten, das die Käfigtüren wieder schloss. Sie verstand jetzt, was es war, warum die Partei so viel Erfolg hatte, warum sie alle die Leute wählten, die ihnen ihre Gedanken einsperrten. Für Menschen wie den Mesner bedeutete in einem Käfig zu leben eben nicht, dass er eingesperrt war. Für ihn bedeutete es, vor dem Fremden, vor der Weite geschützt zu sein. Und wie ein gefangenes Tier war er bissig und gefährlich.
    »Es wird eng in dieser Stadt«, sagte sie nach einer Weile bedrückt zu Paul, der still neben ihr hergegangen war, aber er antwortete nicht, sondern hing, nun wieder so schweigsam wie immer, seinen eigenen Gedanken nach, bis sie zu Hause waren.

12

    Johannis kam. Früher, als Luise noch bei den Bündischen gewesen war, hatte der Tag der Sommersonnenwende für sie etwas Besonderes bedeutet. Fast eine Woche lang hatte man Holz gesammelt, um den Scheiterhaufen für das Johannisfeuer aufzubauen. Meistens hatten sie eine unbewaldete Hügelkuppe gewählt, damit man das Feuer von allen Seiten sehen und das Feuerrad zu Tal rollen lassen konnte. In ihrer Erinnerung verschmolzen alle Sommersonnenwenden zum Bild einer warmen Juninacht, in der sie auf dem Berg stand, weit übers Land sah und von vielen anderen Hügeln die Feuer leuchteten. Und dann, wenn die lange Dämmerung endlich in die Nacht übergegangen war und man die mit Stroh umwickelten Holzräder anzündete, hatte sie immer so ein Gefühl gehabt, als liege tatsächlich etwas Magisches in diesen Nächten; so wie die Germanen geglaubt hatten, man könne in dieser Nacht die Sprache der Tiere verstehen oder sich mit dem Johanniskraut versehen, das einen unsichtbar machte.
    Jetzt, nachdem die Bündischen verboten waren, spürte sie wenig Lust, zu einem Feuer zu gehen und martialischen Reden an einem Abend zu lauschen, der früher einmal einen feinen, leisen Zauber gehabt hatte. Aber Georg hatte Paul und ihr eine Einladung zukommen lassen, über die sie hatte lächeln müssen. Er hatte nämlich eine ganze Reihe von ehemaligen Mitgliedern ihrer Fahrtengruppe zu einem »Feuerabend« eingeladen, wie er es nannte, in den Obstgarten hinter der Schmiede, der im Schatten der Stadtmauer lag. Auf privaten Grund zu einer privaten Feier, hieß das, und dagegen konnte niemand etwas sagen, auch wenn sie zufällig am Johannisabend stattfand und die HJ mit Fackeln auf die Berge ringsum marschierte.

    Luana hatte am Nachmittag Waldmeisterbowle mit dem Sirup gemacht, den sie noch im Mai angesetzt hatte. Der betäubend schwere, süß-würzige Duft hatte im Gang des Pfarrhauses gehangen und Luises Vater dazu verführt, sich ein Glas geben zu lassen, als Paul, Luana und Luise gerade aufbrechen wollten.
    »Wollt ihr und die Waldmeisterbowle nicht zu Hause bleiben und es euch auf der Terrasse gemütlich machen?«, scherzte er, »ich würde euch – und der Bowle – zu gern Gesellschaft leisten. Ihr könntet mir die Bowle durchs Fenster ins Arbeitszimmer reichen.«
    »Du hast dir den falschen Beruf ausgesucht«, sagte Paul mit trockenem Humor, »anscheinend arbeitest du immer, wenn alle anderen frei haben.«
    Obwohl sein Vater keine Miene verzog, hörte man seiner Stimme an, dass er belustigt war. »Andere Kinder ernähren ihre Eltern im Alter und verschleudern kein Volksvermögen – insbesondere Waldmeisterbowle – an Fremde.«
    Luise lachte. »Vielleicht beruhigt es dich, wenn du hörst, dass sie für Georg ist und wir den größeren Teil davon trinken werden.«
    »Ja«, antwortete er spöttisch, mit dem Glas in der Hand schon auf dem Weg in sein Arbeitszimmer, »das beruhigt mich ungemein.«
    Lachend verließen sie das Haus.

    Der Garten hinter Georgs Elternhaus lag im Schatten der Stadtmauer, die hier wohl um die sechs Meter hoch war. Rechts und links lagen ähnliche Gärten hinter den kleinen Handwerkerhäusern, denen man die Enge des Mittelalters noch ansah. Kleine Fenster, schiefe Fassaden, rund getretene Stufen aus Solnhofener Platten, die hier allgegenwärtig waren. Johannisbeersträucher und Obstbäume wuchsen so dicht, wie es möglich war, und so konnte man trotz der niedrigen fränkischen Steckenzäune kaum von dem

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