Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
wie die Heldin eines dieser fürchterlichen Romane, von denen meine Schwester nicht genug bekommen kann“, sagte er. „Edel bis zum Schluss trotz unüberwindbarer Widrigkeiten. Ich frage mich, wie Sie zurechtkämen, wenn Sie, wie in Udolpho , in einer Burg eingesperrt dem schurkischen Signor Montoni ausgeliefert wären.“
„So haben Sie Udolpho also gelesen, obwohl Sie solche Romane verachten? Ich hoffe sehr, ich würde mehr Geistesgegenwart beweisen als die Heldin. Und ich trete auch nicht für blinden Edelmut ein, sondern meine nur, dass die meisten Menschen nicht nur selbstsüchtig sind.“ Ganz kurz überlegte sie, ob es sinnvoll wäre, das Thema zu vertiefen, sah jedoch schnell davon ab, da eine Diskussion über edle Tugenden nicht so recht zu dem Angebot passte, das sie Seiner Lordschaft zu machen gedachte. „Aber wir sprachen über die Franzosen, Lord Rasenby – haben Sie persönliche Kontakte? Zu Emigranten, meine ich. Ich denke manchmal, sie müssten sehr romantische Geschichten über ihre Flucht erzählen können. Jedenfalls spannendere als in Mrs. Radcliffs Romanen.“
„Im Gegenteil, da ist nichts Romantisches dran. Wenn sie entkommen, dann oft bettelarm, nur mit der spärlichen Habe, die sie mit sich führen können. Und gelingt ihnen die Flucht ins Ausland, sind sie dort auf das Wohlwollen von Freunden oder Verwandten angewiesen. Das als romantisch zu bezeichnen, heißt, auf einem völlig unwissenden Standpunkt zu beharren.“
„Und dennoch scheint es mir so. Ich würde gern eine solche Rettungsaktion miterleben.“
„Vermutlich würde es Ihnen dann nicht mehr so romantisch vorkommen. Und nun, Madam, kann ich Ihnen noch etwas anbieten? Sonst sollten wir jetzt zur Sache kommen.“ Sein Ton ließ keinen Raum für Widerspruch.
„Ja, ja, sicher doch.“ Nun, da es so weit war, kamen Clarissa doch einige Bedenken. Was sie sagen wollte, wusste sie, nur war sie plötzlich nicht mehr vom Erfolg ihrer Argumente überzeugt. Und wenn sie Erfolg zeitigten, dann vielleicht mehr als erwünscht, fürchtete sie – denn dieser Mann würde sich nicht mit Worten zufrieden geben. Wie sollte sie ihren Plan durchführen, ohne ihre Tugend zu riskieren? Besonders, wenn sie anscheinend immer weniger geneigt war, sie überhaupt zu bewahren. Kit Trahern, Earl of Rasenby, war nicht nur außerordentlich attraktiv, er war interessant. Mit ihm näher bekannt zu werden, war ihr wirklich alles andere als unangenehm.
Sie atmete tief ein und stürzte sich ohne weitere Vorrede in ihren Vorschlag, einzig darauf bedacht, es hinter sich zu bringen, ehe der Mut sie verließ – oder ihre Vernunft sich einschaltete. „Mylord … vermutlich übertreibe ich nicht, wenn ich behaupte, dass Sie gerade von Ihrem Leben recht gelangweilt sind? Nun, ich möchte Ihnen eine zeitweilige Zerstreuung bieten.“
„Gelangweilt? Nun ja, so könnte man es auch nennen. Sie sollten sich nur darüber klar sein, dass Sie mir wenig bieten können, das ich nicht schon gekostet hätte. Zweifellos sind Sie sich meines abscheulichen Rufes bezüglich Ihrer Mitschwestern bewusst. Schließlich berührten wir gestern dieses Thema.“
„Ja, Mylord, und – wenn ich es erwähnen darf – mir scheint, dass man in der Gesellschaft sehr schlecht über Sie spricht.“
Mit zynischem Lächeln schaute Kit in ihre so ehrlich dreinblickenden tiefgrünen Augen. War diese Frau wahrhaft naiv, oder war sie nur eine exzellente Schauspielerin? „Also, falls Sie sich meiner moralischen Rettung verschrieben haben … der Versuch kann nur fehlschlagen. Wenn man meiner Mutter und meiner Schwester glaubt, bin ich längst rettungslos verloren.“
„Aber nein, niemand ist je rettungslos verloren! Ich habe das Gefühl, Lord Rasenby, dass Sie ein wenig zu sehr auf Ihrem schlechten Ansehen beharren. Mir scheint, dass Sie es im Grunde sehr genießen. Sie haben selbst zugegeben, dass auch Sie Prinzipien besitzen, wenn Sie sie auch sorgfältig verbergen. Mit Ihrer Ehrlichkeit übertreffen Sie sogar manchen anderen, nur soll es möglichst niemand wissen. Es gefällt Ihnen, sich als der schlimme Lord Rasenby darzustellen. Und ich verstehe recht gut, warum Ihnen das zupass kommt.“
„Dann lassen Sie mich doch bitte an Ihren Erkenntnissen teilhaben.“
„Nun ja, man erwartet natürlich viel weniger von Ihnen. Man hält Sie für wenig verlässlich, also wird sich auch niemand um Hilfe an Sie wenden.“ Als Kit sie unterbrechen wollte, wehrte sie mit einer Handbewegung ab.
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