Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
in einem kleinen Salon. Die geschlossenen Vorhänge gaben keinen Hinweis auf die Tageszeit, und einen winzigen Moment glaubte Clarissa, sie sei wieder daheim. Doch dann sah sie die geschmackvolle, elegante Einrichtung, die Gemälde und feinen Stofftapeten, was alles nicht mit ihrem bescheidenen Heim zu vergleichen war, sondern von Geld und Privilegien kündete. Außerdem war sie nicht allein. Ihr gegenüber lehnte Kit in einem üppig gepolsterten Ledersessel.
„Wo bin ich hier?“
„In Thornwood Manor, einem meiner Anwesen – das, das der Küste am nächsten ist. Aber Sie möchten es vielleicht lieber Burg Udolpho nennen.“ Mit einem Ruck schloss er das Buch, in dem er gelesen hatte. „Ich wollte mich doch mit Mrs. Radcliffs Roman vertraut machen, der Ihnen ja anscheinend so gut ge fi el. Selbstverständlich möchte ich nach Kräften dem schurkischen Signor Montoni nacheifern, dazu passt doch, dass ich Sie, während Sie schliefen, in mein Versteck schleppte.“ Er lächelte schief, ganz der unverbesserliche Lebemann.
Ein wenig beklommen schluckte Clarissa, doch sie ließ sich nichts anmerken. Milder Protest und kühle Haltung würden am ehesten sein Feuer dämpfen. Sie gähnte verhalten, und das Kaschmirplaid zur Seite schiebend, mit dem sie zugedeckt gewesen war, setzte sie sich aufrecht hin. „Himmel, Kit, Sie nehmen mich zu ernst. Mrs. Radcliffs Romane fi nde ich viel zu dramatisch, eigentlich schwärmt meine Tante viel mehr dafür. Vielleicht sollten Sie besser die entführen.“
„Sehr gut, Clarissa, aber ich durchschaue Sie. Diese hübsche Vorstellung wird mich nicht abhalten. Aber werden Sie sich denn auch mit dem schurkischen Lord Rasenby zufriedengeben?“
„Kit, inzwischen kenne ich Sie gut genug, um zu wissen, dass Sie nicht so schurkisch sind, wie Sie sich gern darstellen. Ich nehme an, wir machen hier Station, damit wir vor der Rückfahrt nach London einen kleinen Imbiss einnehmen können? Sehr vernünftig, denn ich habe entsetzlichen Hunger. Und ein wenig erfrischen müsste ich mich auch dringend.“ Unter gesenkten Wimpern beobachtete sie ihn, sah jedoch entmutigt, dass er nicht sehr entgegenkommend wirkte.
„Clarissa, wie oft habe ich Sie nun gewarnt, meinen Ruf ernst zu nehmen? Offensichtlich vergebens. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, dass wir einen Pakt geschlossen hatten? Mag sein, dass Sie es für einen Pakt mit dem Teufel halten. Trotzdem werden Sie keinen Rückzieher machen!“
Nervös befeuchtete sie ihre Lippen, lehnte sich jedoch gespielt ruhig zurück und musterte interessiert den gedeckten Teetisch. „Ach, trinken wir doch erst einmal den Tee“, sagte sie und griff zur Kanne, um einzuschenken. Dann bot sie Kit die üppig mit Gebäck und dünnen Sandwiches gefüllte Platte und nahm sich selbst ein Stück Kuchen. Die Kehle war ihr so eng, dass sie sich zum Essen zwingen musste. Während sie mit einem Schluck des köstlich duftenden Tees nachspülte, überlegte sie fi eberhaft. Kit würde darauf bestehen, dass sie hier und jetzt ihren Teil des Vertrags erfüllte. Sie sah nur zwei Möglichkeiten, dem zu entgehen, und selbst die waren nicht sehr vielversprechend. Sie konnte ihn hinhalten, ihn überreden, den Vollzug des Beischlafs aufzuschieben, bis sie in London waren, um ihm dort irgendwie zu entwi schen und ihm nie wieder über den Weg zu laufen. Oder sie konnte ihm die Wahrheit sagen und ihn bitten, sie von ihrem Versprechen zu lösen.
Genau genommen gab es eine dritte Möglichkeit. Sie könnte sich fügen. Bei dem Gedanken wurde ihr heiß. Nur ein einziges Mal wahre Leidenschaft zu erleben. Sich von Kit lieben lassen. Durch seine Küsse diese Flamme in ihr au fl odern spüren. Wahre Erfüllung erfahren. Himmel, welche Versuchung! Sie zitterte bei der Vorstellung.
Aber das war ein Hirngespinst. Unmöglich. Denn sie wusste, dass sie nach diesem einen Mal nicht mehr würde von ihm lassen können. Sie wäre in seiner Macht, würde ihm nichts mehr versagen können. Er würde sie benutzen und vergessen – wie all seine anderen Geliebten. Sie musste ihm um jeden Preis widerstehen, wie sehr ihr Körper auch das Gegenteil verlangte.
Dann also Aufschub! Als hätte sie alle Zeit der Welt, nahm sie einen weiteren Schluck Tee und sagte im Plauderton: „Ob die Renauds wohl jetzt in Sicherheit sind? Monsieur erzählte mir ein wenig über ihre Probleme. Er scheint mir ein sehr gütiger Mann zu sein. Trotz all dem, was seine Familie durchmachte, sucht er immer noch das Gute in
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