Ein Lord entdeckt die Liebe
beschleunigte ihre Schritte und sah starr geradeaus. „Alles gehört zu meinem Ich“, stellte sie fest und blieb abrupt stehen. „Sie sind der Marquess of Marland. Heißt das etwa, dass Sie nichts weiter sind als der Herr von Denning Castle?“
Er runzelte die Stirn.
„Es wäre naiv, das zu glauben, nicht wahr? Sie sind ein Mann mit politischem Einfluss, ein Mitglied des House of Lords. Sie sind auch ein berühmter Sammler, der sich auf antike Waffen spezialisiert hat. Außerdem haben Sie gegen Napoleon gekämpft und werden daher von einigen als Held verehrt. Es heißt, dass Sie als Diplomat mit Ministern und Königen verhandelt haben. Gleichzeitig nennt man Sie den Marauding Marquess, was ja wohl bedeutet, dass Sie ein guter Liebhaber sind.“
Zum Teufel, ihre Worte ließen ihn wie einen Schuljungen erröten. „Ich denke nicht …“
„Genau das ist das Problem“, fiel sie ihm ins Wort. „Im Gegensatz zu mir müssen Sie nicht über sich nachdenken. Sie wissen, wer Sie sind, denn Sie haben viele Möglichkeiten gehabt, das herauszufinden. Ich hingegen habe ein ganz anderes Leben geführt und bin noch auf der Suche nach den verschiedenen Facetten meines Wesens. Was ich in Denning über mich erfahren konnte, habe ich herausgefunden. Nun muss ich mir andere Möglichkeiten suchen, um mich besser kennenzulernen. Deshalb bin ich mit Ihrer Schwester nach London gegangen.“
Was sie sagte, hörte sich ehrlich an. Er verstand sehr gut, was sie meinte. Aber er wollte es nicht akzeptieren. Denn das hätte bedeutet, dass er sich damit abfinden musste, „seine“ Hardwick nie zurückzubekommen. Und er wünschte sich doch nichts mehr als das!
„Wissen Sie, was ich denke?“, meinte er in herausforderndem Ton. „Ich denke, dass meine Hardwick die Frau ist, die Sie wirklich sind. Wie sonst hätten Sie das Leben als meine Assistentin so lange so überzeugend, so gut meistern können? Niemand kann so lange eine Rolle spielen, die nicht zu ihm passt. Sie kennen sich selbst sehr gut. Aber aus irgendeinem Grund wollen Sie sich das nicht eingestehen. Sie haben Angst, nicht wahr?“
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und versuchte, mehr Abstand zwischen sich und ihn zu legen. Beinahe wäre sie vom Bürgersteig auf die Straße getreten. „Es würde mir Angst machen, wenn Sie recht hätten“, stieß sie hervor.
„Seien Sie doch vernünftig, Hardwick! Hören Sie mir zu!“
„Oh nein, jetzt ist es an Ihnen, zuzuhören! Haben Sie sich jemals klargemacht, dass Ihre Hardwick nie Gefühle gezeigt und nie Wünsche geäußert hat? Glauben Sie etwa, ich sei von Geburt an gänzlich anspruchslos und vollkommen vernünftig gewesen? Glauben Sie, ich hätte nie Träume gehabt und kein anderes Ziel gekannt, als die Erwartungen anderer zu erfüllen?“
Ihm war, als müsse sein Herz aufhören zu schlagen. Zutiefst schockiert blieb er stehen.
Auch Chloe stand plötzlich ganz still. „Glauben Sie, ich hätte nie etwas anderes tragen wollen als sackartige Kleider und Jacken mit militärisch wirkenden Knöpfen?“
Er schluckte, schüttelte den Kopf.
Sie machte einen zögernden Schritt nach vorn und ging dann entschlossen weiter. „Haben Sie jemals darüber nachgedacht, warum ich alle Aufgaben, die mit Ihrer Sammlung zu tun hatten, so gut erfüllen konnte?“, fragte sie, ohne sich nach Braedon umzusehen.
Natürlich war er ihr gefolgt. „Ich nahm an, Ihr Vater hätte Ihnen alles Wichtige beigebracht“, erklärte er, froh darüber, dass sein Herz zum normalen Rhythmus zurückgefunden hatte.
„Das stimmt zumindest teilweise. Mein Vater war einer der Kuratoren des Britischen Museums. Er liebte seine Arbeit und lehrte mich viel über die Vergangenheit. Er zeigte mir die Schätze des Museums, konnte die wundervollsten Geschichten erzählen und verstand es sehr gut, meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Dennoch war Geschichte seine Leidenschaft und nicht meine.“
Sie hatten inzwischen die Princess Street erreicht, und Chloe blieb vor einer engen Gasse stehen. „Lassen Sie uns diesen Weg wählen“, meinte sie, „denn für das, was ich Ihnen zu sagen habe, wünsche ich keine zufälligen Zuhörer.“
Noch mehr Geheimnisse? Noch mehr Intimität? Ein kalter Schauer überlief ihn. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Hier lauerte Gefahr! Einen Moment lang überlegte Braedon tatsächlich, ob er sich auf der Stelle von Hardwick verabschieden sollte. Bis zu Mairis Haus war es nicht mehr weit. Sie würde die Strecke gefahrlos allein
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