Ein Lord entdeckt die Liebe
Seine Achtung und Zuneigung waren sehr, sehr wichtig für mich. Beinahe wichtiger als eine warme Wohnung und sättigende schmackhafte Mahlzeiten.“
Braedon runzelte die Stirn. „Sie haben immer in England gelebt, nicht wahr? George Hardwick aber habe ich in Brüssel kennengelernt.“
„Ja. Doch das war später … Ich glaube, er liebte meine Mutter wirklich. Während der drei Jahre ihrer Ehe behandelte er sie stets sanft, zuvorkommend, ja liebevoll. Nie wurde er ungeduldig oder gar laut. Er machte ihr kleine Geschenke und ließ sich alles Mögliche einfallen, um sie zum Lachen zu bringen. Es war eine glückliche Zeit.“
Tränen traten ihr in die Augen. Jetzt war er sich dessen ganz sicher. Mitgefühl regte sich in ihm, obwohl er versuchte, kein derartiges Gefühl zuzulassen. Erwartete Chloe etwa, dass er etwas Tröstendes sagte?
Nein, sie räusperte sich nur und erzählte dann weiter. „Leider gingen diese drei Jahre viel zu rasch zu Ende. Im Frühjahr – es regnete ständig, der Wind war kalt, und die Sonne ließ sich nicht blicken – erkältete meine Mutter sich. Es begann mit leichten Halsschmerzen. Dann begann sie zu husten. Sie starb innerhalb einer Woche. George Hardwick war verzweifelt.“
„Deshalb hat er England verlassen? Ich erinnere mich, dass er erwähnte, er habe seine Tochter in ein Internat in England geschickt. Wir kamen in einem Antiquitätengeschäft in Brüssel ins Gespräch, weil wir uns beide für dieselbe Waffe interessierten, für das Messer eines römischen Legionärs.“
Chloe schloss die Lider. „Er musste wohl fortgehen. Ich weiß, dass er es nicht ertrug, dort zu bleiben, wo alles ihn an meine Mutter erinnerte. Ich glaube sogar, dass mein Anblick ihn ganz besonders quälte. Er liebte mich, aber … Jedenfalls bot er mir an, seinen Namen zu übernehmen, ehe er mich ins Internat schickte. Auch setzte er mich offiziell als seine Erbin ein. Wir sahen uns einige Jahre lang nicht. Und dann, als er endlich nach England zurückkehrte und mich zu sich holte, da …“ Ihre Stimme brach. „Da dauerte es nicht lange, bis auch er starb.“
Braedon gestand sich ein, dass er die Kontrolle über das Gespräch vollkommen verloren hatte. Diese Unterhaltung war gefährlicher als manches Abenteuer, das er im Krieg überstanden hatte. Das Vertrauen, das Chloe ihm entgegenbrachte, ängstigte ihn ungeheuer. Also machte er einen ziemlich kläglichen Versuch, das Thema zu wechseln. „Und was hat das alles mit Ihren sackartigen Kleidern und den Knöpfen zu tun?“
„Ich ging noch zur Schule.“ Sie schlug die Augen auf. Trauer und Schmerz lagen in ihrem Blick. „Und ich war schrecklich unglücklich. Ich war die einzige Schülerin, deren Eltern nie zu Besuch kamen. Die einzige, die in den Ferien nicht nach Hause fahren konnte. Letzteres nahmen die Lehrkräfte und sonstigen Schulbediensteten mir übel, denn irgendwer musste meinetwegen da bleiben, wenn alle anderen frei hatten. Sie ließen mich ihre Missbilligung spüren. Und das ermutigte meine Mitschülerinnen, sich mir gegenüber ebenfalls unfreundlich zu verhalten. Ich hoffte lange, dass sich das ändern würde, wenn ich erst selbst Lehrerin war. Leider musste ich feststellen, dass ich mich getäuscht hatte.“
„Sie sind, nachdem Sie die Schule abgeschlossen hatten, im Internat geblieben, obwohl Sie dort so unglücklich waren?“, fragte er ungläubig.
„Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich war allein, jung und unerfahren. Vater wollte nicht, dass ich ihn auf seinen Reisen begleitete. Er fand, es sei zu gefährlich. Schließlich herrschte Krieg.“
Braedon schämte sich. Er kam sich so dumm vor. Schuldgefühle plagten ihn. Er konnte sie einfach nicht abschütteln! Denn zu jener Zeit hatte er George Hardwick bereits angestellt, damit dieser ihm bei der Suche und dem Erwerb antiker Waffen half. Deshalb war der Mann nicht nach England zurückgekehrt. Deshalb hatte Chloe sich entschieden, als Lehrerin zu arbeiten.
„Ich war die jüngste der Lehrerinnen“, sagte sie, „und niemand mochte mich besonders. Dann fiel mir ein, was ich gelernt hatte, als meine Mutter zum zweiten Mal heiratete. Ich begann die Schulleiterin zu beobachten, fand heraus, was sie besonders interessierte, und wagte es nach einer Weile, ihr Fragen zu stellen. Sie war in einem Kloster erzogen worden und klagte oft darüber, dass englische Eltern für ihre Kinder keinen Unterricht durch Nonnen wollten. Sie selbst sehnte sich nach dem strengen
Weitere Kostenlose Bücher