Ein Lord entdeckt die Liebe
zurücklegen können – oder nicht? Seine Hoffnung darauf, sie zur Rückkehr nach Denning Castle zu überreden, hatte sich längst zerschlagen. Es gab keinen Grund mehr, ihr Gesellschaft zu leisten.
Hardwick wandte sich zu ihm um, schaute leicht verunsichert zu ihm auf, blinzelte in die Sonne. Im hellen Licht wirkte sie sehr schön, exotisch fast. Die unter dem Hütchen hervorschauenden Locken glänzten wie schwarze Seide. Sie hob leicht die Augenbrauen, drehte sich zu der im Schatten liegenden Gasse um und verschwand darin.
Braedon gab sich geschlagen. Ihm fehlte die Kraft, sich ihrer Anziehungskraft zu widersetzen. Mit einigen großen Schritten hatte er Chloe eingeholt.
„Mein Vater starb, als ich noch sehr jung war“, sagte sie, so als sei gar keine Gesprächspause eingetreten. „Als der Herbst in den Winter überging, erkrankte er. Wochenlang fieberte er. Am Weihnachtsfest war er nicht mehr bei uns.“
Sie traten aus der Gasse heraus. Der Platz vor ihnen lag hell und warm im Sonnenschein. Eine Bank lud zum Verweilen ein, und Chloe setzte sich.
„Für meine Mutter und mich wurde das Leben immer schwieriger. Bald fehlte es an allem. Dann, als wir der Verzweiflung nahe waren, tauchte gänzlich unerwartet George Hardwick auf. Er war mit meinem Vater befreundet gewesen, kannte meine Mutter und mich flüchtig und erbot sich sogleich, uns zu helfen. Es dauerte nicht lange, bis er meine Mutter heiratete.“
Marland hatte sich nicht zu ihr gesetzt, sondern hatte sich gegen die sonnenwarme Wand, an der die Bank stand, gelehnt und lauschte.
„Mutter liebte ihn nicht, das blieb mir nicht verborgen. Schließlich hatte ich beobachten können, wie sie mit meinem Vater umging, solange dieser lebte. Allerdings bemühte sie sich sehr, ihren zweiten Gatten glücklich zu machen. Während all der Monate, in denen wir auf uns allein gestellt waren, hatte sie nie auch nur ein einziges Mal gelächelt. Aber für ihn gelang es ihr …“ Chloe schluckte. Dann fuhr sie mit noch leiserer Stimme fort: „Mutter war nie sehr kräftig gewesen, doch sie kochte, was er am liebsten aß, und dekorierte die Wohnung, hörte ihm geduldig zu, wenn er über gewisse Aspekte seiner Arbeit klagte.“
Nach einer Weile – Chloe hielt den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen – meinte Braedon: „Ich nehme an, er hat auch mit Ihnen über seine Arbeit gesprochen.“
Sie nickte. „Manchmal … Ich konnte ihn leicht dazu bringen, indem ich mich interessiert zeigte. In jener Zeit lernte ich manches von meiner Mutter.“ Ein kalter Schauer überlief sie, und sie begann leicht zu zittern, obwohl die Sonne sie doch wärmte. „Jene langen Monate nach Vaters Tod … Die Kälte, der Hunger … Ich denke nicht gern daran zurück. Es war … schrecklich.“
Er war sich nicht sicher, ob sie ein paar Tränen fortzwinkerte.
„Damals mussten wir unser kleines Haus aufgeben. Aber am schlimmsten war die Angst.“
Sie hatte einen großen indischen Schal umgelegt, dessen bunte Farben das zarte Rosa ihres Kleides hervorhoben. Nun zog sie ihn vor der Brust fester zusammen. Braedon wusste aus Erfahrung, dass kein noch so warmes Kleidungsstück sie vor der inneren Kälte schützen konnte, die durch böse Erinnerungen hervorgerufen wurde.
„Lange Monate wussten wir nie, wann wir die nächste Mahlzeit würden zu uns nehmen können. Wir strengten uns an, und waren doch niemals sicher, dass das Geld zum Bezahlen der Miete reichen würde.“ Sie holte tief Luft, und als sie fortfuhr, klang ihre Stimme ein wenig fester. „Ich war so einsam. Vaters Tod hatte Mutter verändert. Sie war auf einmal so weit fort, selbst wenn sie neben mir saß. Alles schien ihr entsetzlich schwerzufallen. Manchmal stand sie tagelang nicht auf, dabei tat ich alles, um sie aus dem Bett zu locken.“ Chloe hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. „Dies alles wollte ich auf keinen Fall noch einmal durchmachen. Ich hätte alles getan, um mich sicher zu fühlen.“
Schweigend erwiderte Braedon ihren Blick.
„George Hardwick bot uns Sicherheit. Und deshalb bemühte ich mich, seine Erwartungen in allem zu erfüllen. Ich war ruhig, höflich, gehorsam und begierig zu lernen. Ich versuchte ihm zu zeigen, wie sehr seine Arbeit mich interessierte. Ich fragte ihn nach Antiquitäten und Kunstwerken, die er erwähnte, und bat ihn, mir genau zu beschreiben, wie er bestimmte Arbeiten ausführte. Damit hatte ich offenbar eine erfolgreiche Strategie gewählt. Er schloss mich in sein Herz.
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