Ein Lord entdeckt die Liebe
Eröffnungstanz.“
Diesmal gehorchten alle. Rob rannte aus dem Saal. Ashton führte Mairi hinaus. Das Orchester spielte die ersten Töne. Paare fanden sich zum Tanz.
Chloe allerdings stand wie erstarrt. Gerade erst hatte sie begriffen, wer Rob war. Braedons Neffe!
Dass es sich um das verwaiste Kind einer Pächterfamilie handelte, war eine Lüge gewesen. Rob war der Sohn von Braedons verstorbenem Bruder Connor. Kein Wunder, dass das Kind sich solche Mühe gegeben hatte, dem Marquess zu gefallen. Wie sehr musste es sich gewünscht haben, von seinem Onkel freundlich aufgenommen zu werden. Stattdessen hatte Braedon den Jungen einfach abgeschoben.
„Hardwick, vielleicht können Sie helfen.“
Sie zuckte zusammen. Wie kalt seine Stimme klang! Sie schaute zu ihm auf, musterte ängstlich sein Gesicht. Es zeigte nicht die geringste Spur von Zuneigung oder gar Zärtlichkeit. Nichts erinnerte daran, dass Braedon sie vor noch nicht allzu langer Zeit leidenschaftlich geküsst hatte. Niemand hätte vermutet, dass er mit ihr über Dinge gesprochen hatte, die er niemandem sonst anvertraut hatte. Er sah sie an, als kenne er sie kaum. Als sei sie eine Fremde …
Sie hatte nichts von ihm verlangt, ihn nur um ein paar Tage gebeten, an denen sie sich ihm nah fühlen konnte. Offenbar war ihre Zeit um.
„Jemand muss den Tanz eröffnen“, fuhr er fort. „Ich bin sicher, Thom wird diese Aufgabe gern zusammen mit Ihnen übernehmen.“
Sir Thomas verbeugte sich. Um seine Lippen spielte schon wieder dieses unangenehme Grinsen.
Chloe warf ihm einen Blick zu, der ihre Abneigung deutlich zum Ausdruck brachte. Dann straffte sie die Schultern und wandte sich noch einmal dem Marquess zu. Wenn er glaubte, sie würde sich genauso gefühlskalt geben wie er, dann hatte er sich getäuscht. Sie würde keinen Zweifel daran lassen, dass er sie zutiefst verletzt hatte. Eindringlich schaute sie ihm in die Augen.
„Wenn Sie nicht bereit sind zu helfen …“, begann er.
„Oh, ich möchte sogar gern helfen“, gab sie zurück. „Allerdings fürchte ich, dass es Menschen gibt, die das nicht zu schätzen wissen. Ich sollte mich daher wohl besser denen widmen, die meine Hilfe gern annehmen.“
Damit wandte sie sich ab. Sie würde Rob ins Kinderzimmer folgen und versuchen, ihn zu trösten.
Am liebsten wäre Braedon ihr nachgeeilt. Er musste sich zwingen, ruhig stehenzubleiben. Einen Moment lang spannte er alle Muskeln an. Es war so schwer, Chloe gehen zu lassen! Aber er war der Hausherr und der Bruder der Gastgeberin. Es galt, einen Ball zu retten!
Überhaupt, fuhr es ihm durch den Kopf, ist das alles schon viel zu weit gegangen. Es muss endlich aufhören! Zorn stieg in ihm auf und mischte sich mit der Enttäuschung, die er empfand. Wenn diese Gefühle doch stark genug wären, um die Sehnsucht zu besiegen, diese unendliche Sehnsucht, die er nach Chloes Nähe, nach ihrem Verständnis, nach ihrer Zuneigung empfand! Er konnte es kaum ertragen, sie so unglücklich zu sehen! Wie sollte er weiterleben, wenn sie ihn nicht mehr anlächelte? Wie sollte er auch nur die unwichtigste Entscheidung treffen, wenn ihm ihre Unterstützung fehlte? Oh Gott, er brauchte ihre Liebe so dringend wie die Luft zum Atmen!
Nein, so etwas durfte er nicht denken! Er würde ohne sie weiterleben, weil es keine andere Möglichkeit gab. Er würde sich in sein Schneckenhaus zurückziehen. Er würde die Mauern, die er um sein Herz errichtet und die Chloe beinahe zum Einsturz gebracht hatte, verstärken. Wenn er erst wieder in Denning Castle war, würde er jeden Schmerz ausblenden und Zufriedenheit finden in seiner selbstgewählten Einsamkeit.
Zunächst jedoch musste er diesen Ball zu einem guten Ende bringen. Suchend schaute er sich nach einer Dame um, mit der er endlich den Tanz würde eröffnen können. Doch als er in die Gesichter der Gäste blickte, sah er plötzlich wieder Chloe vor sich, deren Miene so viel Schmerz ausgedrückt hatte, ehe sie aus dem Saal geeilt war. Er konnte sie mit ihrer Verzweiflung nicht allein lassen!
Er wandte sich zum Gehen. Aber Mrs Edmunds trat ihm in den Weg. Obwohl er von ihrer Freundschaft mit Mairi wusste, hatte er nicht erwartet, dass sie sich so engagiert für seine Schwester einsetzen würde.
„Sie werden doch nicht vergessen haben, wie wichtig dieser Abend für Lady Ashton ist“, sagte sie, wobei sie ihn streng anschaute. „Da die Gastgeberin momentan verhindert ist, müssen Sie dafür sorgen, dass alles wie geplant weitergeht.
Weitere Kostenlose Bücher