Ein Lord mit besten Absichten
Er hat sie kaltblütig erschossen. Sie hatte gebettelt und ihn um die Scheidung angefleht – man konnte vom ersten Augenblick an sehen, dass sie nicht zusammenpassten, dass seine üblen Gewohnheiten alles Liebe und Gute in ihr zerstören würden. Sie kam während einer kleinen Feier zu meinem Haus und beschwor mich, ihr zu helfen, bettelte auf den Knien, ich möge sie vor den nächtlichen Qualen bewahren, die er ihr zufügte.«
Gillian schwieg. Der Noble, den Carlisle beschrieb, war nicht
ihr
Noble; das spürte sie ganz deutlich.
»Ich war dort in jener Nacht. Elizabeth hatte mich mit einer verzweifelten Nachricht gebeten, zu ihr zu kommen – sie hatte ein Gespräch belauscht, in dem Weston ihre Ermordung für diese Nacht plante, und sie flehte mich an, sie vor ihm zu beschützen.«
Gillian schüttelte den Kopf. »Nicht Noble.«
»Noble, Mylady. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen, sah, wie er vor Blutgier besinnungslos in einer Lache des Blutes seiner Frau lag, die Pistole, mit der er sie getötet hatte, noch fest in der Hand.«
Gillian schüttelte das schreckliche Bild ab, das Carlisle so lebhaft malte. »Nicht … Noble?«, flüsterte sie. »Vielleicht … vielleicht kam er nur zufällig dazu und wurde niedergeschlagen … oder vielleicht hat er sie verteidigt und dabei aus Versehen … Mylord, Noble würde einem Schwächeren nie wehtun, nie!«
»Ich kann Ihnen versichern, dass ich die Wahrheit sage, Lady Weston. Ich sah die Male. Ich sah die Spuren, die dieser Teufel auf ihrem Körper hinterlassen hatte – die blauen Flecken von den Schlägen, die Streifen auf ihrem Rücken von den Peitschenhieben und … und Schlimmeres. Ich will gar nicht näher auf die anderen Dinge eingehen, die er meiner schönen Elizabeth antat. Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass es sich um äußerst unnatürliche Liebesspiele handelte.« Die Miene des Earls verfinsterte sich, als ihn die Gewissensbisse und die Hilflosigkeit, die er in jener Nacht gefühlt hatte, aufs Neue überkamen. »Hätte ich damals schon im Oberhaus gesessen, hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, ihn vor Gericht zu bringen, doch wie die Dinge standen, konnte ich nichts tun. Ihr Ehemann kam ungeschoren mit diesem abscheulichen Verbrechen davon.«
Gillian schaute zu zwei Kindern, die über den Kiesweg flitzten, gefolgt von einem kleinen Terrier, der den beiden mit lautem Gebell hinterherjagte. Sie waren so jung, so unschuldig, so unverbraucht, unberührt und rein. War sie noch genauso jung und unschuldig wie sie? Hatte sie ihren Gefühlen gegenüber Noble Vorrang vor ihrem gesunden Menschenverstand gewährt? War sie so blind, dass sie nicht sah, was er in Wirklichkeit war?
Bilder kamen ihr wahllos in den Sinn: Noble, wie er sie an dem Abend, als er angeschossen wurde, angrinste, Noble, der mit der Hand durch Nicks Haar fuhr und es zerzauste, während die beiden auf Nethercote in den Garten schlenderten, die von Ärger gefärbte Geduld und den Anflug eines Schmunzelns, als er ihre blauen Hände erblickte, die Liebe, die aus seinen wundervoll silbrig schimmernden Augen sprach, wenn sie eins wurden.
»Nein.« Sie drehte sich zu Carlisle um. »Nein, Mylord, Sie irren sich.«
»Ich habe ihn mit der Pistole
gesehen
! Ich habe die Male …«
»Dann stammen sie von jemand anderem, aber nicht von Noble. Wenn er eine Pistole in der Hand hatte, dann gibt es eine Erklärung dafür. Eine Erklärung, die sich nicht mit Ihrer deckt.«
Carlisle schüttelte den Kopf. »Ihre Zuneigung ist schuld daran, dass Sie blind für die Wahrheit sind, meine Liebe. Ihr Gatte ist ein meisterhafter Lügner, jemand, der es versteht, Geheimnisse der übelsten Sorte zu verbergen, ein bösartiger, grausamer Kerl, der nicht davor zurückschreckt, Sie zu zerstören, wie er meine Elizabeth zerstört hat. Sie sind in Gefahr, Lady Weston, in ernsthafter Gefahr, und ich möchte Ihnen helfen, bevor es zu spät ist.« Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Ich habe es nicht … Ich habe es nicht geschafft, Elizabeth zu helfen, aber bei Ihnen werde ich nicht versagen.«
»Geheimnisse und Lügen«, sagte Gillian leise.
»Wie bitte?«
»Geheimnisse und Lügen. Das ist das, was Palm… ein Gentleman zu mir gesagt hat.« Sie blickte den Earl an. »Geheimnisse führen zu Lügen. Doch welches Geheimnis steckt hinter den Lügen?«
Der Earl hielt ihren Blick fest. »Der einzige Weg, das herauszufinden, Mylady, ist, Ihren Mann zu fragen, und das ist etwas, wovon ich Ihnen dringend
Weitere Kostenlose Bücher