Ein Lord mit besten Absichten
Kleidern des Hausknechts.«
Die Kleider des Hausknechts. Sie redete davon, dass sie die Kleider des Hausknechts getragen hatte, und er hatte gedacht, sie meinte … eine Welle der Erleichterung schwappte über ihn hinweg und entlockte ihm ein leises Lachen, dass er so dummen Gedanken haben konnte. Dumme, alberne Dass-nicht-sein-kann-was-nicht-sein-darf-Gedanken.
»Du bist doch nicht mehr böse auf mich, oder?«
Doch, war er, aber da seine Erleichterung überwog, entschloss er sich, Großmut walten zu lassen. Er hielt ihr einen kurzen Vortrag über seine fast grenzenlose Güte, ihr ihre Fehltritte zu vergeben.
Gillian nahm seine Lektion so bereitwillig wie eben möglich hin, ehe sie beschloss, sich den plötzlichen Stimmungsumschwung des Lords von Leisem Lachen zunutze zu machen und ihn zu fragen, was ihr am meisten auf der Seele lag.
»Wer würde dir etwas antun wollen, Noble?«
Er schob seinen Teller beiseite und blickte sie ärgerlich an. »Das braucht dich nicht zu kümmern, meine Liebe, doch du kannst dir meines Schutzes gewiss sein.«
»Deines Schutzes?« Gillian sah ihren gereizten Mann verdutzt an. Warum machte er sich Sorgen um sie, wenn doch ganz klar er das Opfer eines schändlichen Überfalls geworden war? »Nicht ich wurde niedergeschlagen, ausgezogen und nackt –«
»Ja, ja, wir wissen beide, was geschehen ist. Wie auch immer, es braucht dich nicht zu kümmern. Ich sorge schon dafür, dass sich das nicht wiederholt. Und deshalb werde ich Crouch bitten, dich zu deinem Schutz zu begleiten, wenn du das Haus verlässt. Was hast du heute vor?«
»Aber, Noble, wenn ich dir doch nur helfen dürfte, dann fänden wir bestimmt schnell heraus, wer …«
»Danke, dass du mir Hilfe anbietest, doch ich brauche sie nicht«, lehnte er entschieden und mit überheblich schräg gestellter Augenbraue ab. Er machte sie noch wahnsinnig. Wann würde er endlich merken, dass sie ihm helfen konnte und dass er sie brauchte … Sie seufzte und beantwortete seine Frage. »Ich hatte vor, Charlotte zu besuchen, vielleicht auch noch Lackington’s Buchladen. Ich nehme an, du hast nichts dagegen?«
Er nickte. »Solange du Crouch mitnimmst.« Dann stand er auf und trommelte noch einen Moment lang mit den Fingern auf den Tisch, während er über etwas nachdachte. »Ja, Crouch und einen der Lakaien; das sollte genügen. Übrigens habe ich für heute Abend eine Einladung zum Ball der Countess Lieven angenommen. Würdest du gerne mitkommen?«
Gillian blinzelte ihn an. Sollte das etwa heißen, dass sie sich bis zum Abend nicht mehr sehen würden? Und schlimmer noch, dass er – ohne sie! – zu einem Ball gegangen wäre, dem ersten Ball nach ihrer Hochzeit? Und zwar nicht nur zu irgendeinem Ball, sondern zu einem der berüchtigten Countess Lieven! Nein, das konnte er nicht gemeint haben; so kaltschnäuzig und gefühllos war er auf keinen Fall. Nicht der Mann, der sie erst vor wenigen Stunden in seinen Armen gehalten und ihr eine der sinnlichsten Erfahrungen ihres Lebens beschert hatte. Nein. Nicht ihr Noble.
Sie lächelte. »Ich würde mich freuen, mit dir zum Ball zu gehen, Noble.«
»Ausgezeichnet. Dann sehen wir uns nachher dort.« Er ging zur Tür und blieb davor stehen. »Heute Abend werde ich noch unterwegs sein, Liebes. Ich bin sicher, dass deine Tante und dein Onkel auch auf dem Ball sein und dich gern nach Hause begleiten werden. Solltest du jedoch wünschen, dass ich dich begleite, tue ich das selbstverständlich.«
Ob sie es wünschte? Ob sie wünschte, von dem Mann nach Hause begleitet zu werden, den sie erst seit drei Tagen ihren Ehemann nennen durfte? Nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt als seine Countess? Gillian starrte ihn an, verblüfft und verletzt, dass er so kalt war. Hinter ihren Lidern brannten Tränen. Wieso war er plötzlich wie ausgewechselt? Wie konnte er diese Kälte zeigen, wenn es doch noch nicht lange her war, dass er sie mit seiner Wärme verwöhnt hatte?
Noble nickte, als hätte er eine Antwort von ihr erhalten, und verließ den sonnendurchfluteten Frühstücksraum. Gillian, deren gute Laune urplötzlich in Wut umschlug, schleuderte ihre Gabel quer durchs Zimmer und beobachtete, wie sie von der fröhlich gelb-weiß gestreiften Tapete abprallte und klirrend zu Boden fiel. »Ob ich den Wunsch hätte, dass er mich nach Hause begleitet! Aaaah! Ich werde … Ich werde … Aaah!« Sie hieb mit der Faust auf den Tisch, unfähig, sich etwas einfallen zu lassen, das schrecklich genug war, um
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