Ein Lord mit besten Absichten
Bestimmt kannst du dir vorstellen, dass es mir schwerfällt, das zu glauben.«
»Es gibt noch mehr Wege, um sich mitzuteilen, als nur mit dem Mund, mein Lieber. Ich bin eine Mutter. Und eine Mutter versteht ihre Kinder.«
»Eine Mutter bist du seit genau« – er blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims – »vierzig Stunden. Das ist nicht gerade die Erfahrung, die ich für erforderlich halte, um die Gedanken meines Sohnes lesen zu können.«
»Trotzdem weiß ich, dass Nick sich großartig amüsiert, und ich möchte, dass er mich begleitet, wenn ich Charlotte besuche.«
Noble machte Anstalten, dies abzulehnen, als ihm plötzlich klarwurde, dass er sich ins eigene Fleisch schnitt, wenn er sich zu sehr einmischte. Er hatte ihr eine faire Chance mit Nick versprochen, und da sie ihn offensichtlich in ihre Pläne einbeziehen wollte, hielt er es für das Beste, sie gewähren zu lassen. Natürlich nur unter Berücksichtigung gewisser Vorsichtsmaßnahmen. Er hatte nicht die Absicht, seinen Sohn ein zweites Mal einen solchen Albtraum durchmachen zu lassen, wie er ihn mit Elizabeth durchlebt hatte. Nick war dem Tod nur mit knapper Not entgangen.
Noble wollte gerade vorschlagen, sie sollten sich wieder anziehen, als Gillian eine Hand auf seine Brust legte und ihn streichelte. »Noble, von mir aus nehme ich so viele Lakaien mit, wie du möchtest, aber ich mache mir Sorgen um dich.«
Es fiel ihm schwer, an etwas anderes zu denken als an das Feuer, das sofort wieder in seinen Lenden aufloderte. »Um mich?«
»Ja. Diesen Überfall hat ganz sicher jemand verübt, der dir schaden will, Noble. Wenn du doch endlich deine Gedanken dazu mit mir teilen würdest, könnte ich dir bestimmt helfen. Du sagtest letzte Nacht, dass du einen Verdacht hättest, wer das getan haben könnte.«
Noble hatte einen Verdacht, das stimmte, doch der bezog sich nicht auf die Person, die ihn zu seinem Häuschen in Kensington gelockt und nackt im Bett seiner Mätresse zurückgelassen hatte. Vielmehr hegte er den Verdacht, dass Gillian ihn nur benutzt hatte, nur sein Verlangen nach ihr ausgenutzt und seinen Körper auf dieselbe Art und Weise missbraucht hatte wie Elizabeth damals. Elizabeth, für die körperliche Liebe nur ein Mittel zum Zweck gewesen war, ein Weg, um ihm abzunötigen, was auch immer sie von ihm gewollt hatte. Elizabeth war es dabei um Juwelen und Flitterkram gegangen; Gillian ging es um seine Seele. Er verkrampfte sich unter der zärtlichen Berührung ihrer Hand. Elizabeth und Gillian – so wie sich die Dinge entwickelt hatten, stand für ihn fest, dass sie letztendlich doch gleich waren und sich nur in dem unterschieden, was sie von ihm haben wollten – mit welchen Mitteln auch immer. Er bemühte sich, keinerlei Emotionen zu zeigen, als er antwortete. »Ich habe dir gesagt, das soll nicht deine Sorge sein. Vielleicht solltest du dich jetzt anziehen, wenn du deine Cousine noch besuchen möchtest.«
Gillian ignorierte die Qualen, in deren eisige Fänge ihr Mann wieder geraten war, und streichelte ihn unbeirrt weiter. Einerseits konnte sie ihm eine Leidenschaft entgegenbringen, die das Eis um seine Seele zum Schmelzen brachte, dachte Noble, während sich der Schmerz über ihren Verrat tief in sein Herz bohrte, andererseits konnte sie um ein Vielfaches kälter sein, als Elizabeth es je gewesen war.
»Wenn du es mir doch nur sagen würdest. Wen hast du in Verdacht? Wer würde dir so etwas antun? Wer wusste, wo deine Mätresse wohnt? Warum würde dich jemand auf diese Weise angreifen?«
»Wenn das dann alles wäre …«, sagte er abweisend. Er schob sie energisch von sich und nestelte mit vor Kälte und Wut tauben Fingern an den Knöpfen seiner Hose. »Ich habe noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Auch wenn deine Zärtlichkeiten durchaus beglückend sind, so musst du sie mir nicht zuteilwerden lassen, um von mir die Erlaubnis zu bekommen, Nicholas mitzunehmen. Wenn du das nächste Mal ein derartiges Anliegen hast, frag mich einfach.«
Gillian hatte begonnen, ihr Kleid zu richten, und hielt wie vom Blitz getroffen inne. Verblüfft und schockiert über den förmlichen Ton ihres Mannes, starrte sie Noble an. Was war denn auf einmal los? Vor wenigen Minuten hatte er ihr doch noch Worte voller Liebe und Leidenschaft ins Ohr geflüstert, sie gepriesen, ihr gedankt und ihren Namen ausgerufen, als sich ihre Seelen in einem überwältigenden Moment höchster Ekstase vereint hatten. Was war nur geschehen, dass sich dieser warmherzige,
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