Ein Lord mit besten Absichten
seine Bitte, die jedoch in der von drinnen erklingenden Kakofonie unterging. Die Neugier trieb den Earl näher.
»Wenn du dein Bein da wegnehmen könntest, Gilly …«
»Das versuche ich ja, Char, aber ich kann mich nicht rühren, weil du auf meinem Kleid sitzt. Autsch!«
»Entschuldigung, ich wollte dir den Ellbogen nicht …«
»Nick, mein Schatz, würdest du bitte mal über … au! Charlotte! … über Erp klettern und durchs Fenster schlüpfen? Ich glaube … Charlotte, wenn du mich noch einmal stößt, dann schwöre ich …«
»Verflixt und zugenäht!«
»
Charlotte!
«
»Du würdest auch fluchen, hätte man dir deine wundervolle Spitze vom Ärmel gerissen.«
»Nick, du stehst auf meiner Hand … ah, danke. Versuch doch bitte, durchs Fenster … Himmeldonnerwetter. Dickon, würden Sie wohl aufhören, uns anzuschreien, wir versuchen es ja. Die Tür klemmt offensichtlich! Zum Teufel!«
»
Gillian!«
»Komm mir jetzt nicht mit so einem ›
Gillian‹
; schließlich hast du zuerst geflucht. Würdest du freundlicherweise aufhören, mir deinen Ellbogen in die Niere zu stoßen, Cousine?«
»Achtung, Nick, ich gebe dir nur einen kleinen Schubs durchs Fenster, in Ordnung?«
»Charlotte, wenn du meinem Sohn wehtust …«
»Ich habe nicht vor, ihm wehzutun … das waren meine Haare!«
»Entschuldigung. Meine Hand ist abgerutscht.«
»Ha!«
Der Oberkörper eines kleinen Jungen tauchte plötzlich aus dem Kutschfenster auf. Mit derselben Art von Faszination, die Schaulustige bei Hinrichtungen, Unfällen und anderen grauenhaften Ereignissen bannt, verfolgte Lord Carlisle die Szene wie hypnotisiert. Wie viele Leute mochten wohl da drinnen sein? Und was war ein Erp? Lebte das Kind oder wurde es aus anderen Gründen ausgestoßen? Schwer zu sagen, ob der Junge aus eigenem Antrieb mit den Armen wedelte oder ob der Lakai, der ihm helfen wollte, ihn so in Schwingung versetzte.
»Nick, mein Schatz, wenn du dich ganz hinausschieben könntest, wäre ich dir sehr dankbar. Deinen Füßen auszuweichen ist nicht gerade leicht.«
»Au!«
»Siehst du, mein Lieber? Nun hast du deiner Cousine Charlotte ins Gesicht getreten.«
»Dieser kleine Rotzlöffel! Das hat er mit Absicht getan! Rutsch rüber, ich werde ihn durch das verfluchte Fenster schieben.«
»Charlotte, wenn du meinem Sohn auch nur ein Haar krümmst … oh, großer Gott.«
Die Kutsche hörte plötzlich auf zu wackeln. Carlisle beugte sich vor, und ihm lief ein Schauder über den Rücken, als er die Angst in Lady Westons Stimme hörte. Was war geschehen? Eine plötzliche Krankheit? War der im Fenster feststeckende Junge zusammengebrochen? Oder war der Dame namens Charlotte außer der abgerissenen Spitze vielleicht ein weiteres Unglück zugestoßen? Nur eine Katastrophe größten Ausmaßes konnte für ein solches Entsetzen sorgen, wie es in Lady Westons Stimme mitschwang.
»Dickon? Crouch? Würde endlich jemand diese verflixte Tür öffnen? Ich glaube, Piddle muss sich gleich übergeben!«
Lord Carlisle sträubten sich die Nackenhaare, als er den markerschütternden Schrei hörte, der gleich nach Lady Westons Äußerung die Luft zerriss, ehe schließlich die Urheberin des Schreis die Lage klärte. Nach mehreren dumpfen Schlägen gegen die Innenwand der Tür – Lord Carlisle nahm an, dass die Dame namens Charlotte dagegentrat –, sprang der Schlag plötzlich auf, und nur dem schnellen Eingreifen des Lakaien namens Dickon war es zu verdanken, dass der kleine Junge nicht mit dem Oberkörper gegen die Kutschwand krachte. Wenige Augenblicke später wurde das Kind wieder zum Fenster hineingezogen und zwei große geifernde Hunde kamen aus der Kutsche geschossen, unmittelbar gefolgt von Lady Weston und einer Dame in einem – das zu bemerken, kam er nicht umhin – extrem zerknitterten Kleid.
»Lord Carlisle.« Gillian machte einen Knicks und versuchte, Piddle zu ignorieren, der sich direkt neben ihr und sehr geräuschvoll auf den Bürgersteig übergab. »Wie reizend, Sie wiederzusehen. Sind Sie schon mit meiner Cousine bekannt, Lady Charlotte Collins?«
»Lord Carlisle«, begrüßte Charlotte ihn und knickste ebenfalls. »Bitte verzeihen Sie mein derangiertes Auftreten. Ich zeige mich selten in der Öffentlichkeit, da meine Mama große Rücksicht auf mein zartes Gemüt und mein schüchternes Naturell nimmt, aber meine allerliebste Cousine hat mich so sehr bedrängt, dass ich ihr die Bitte, sie zu begleiten, einfach nicht abschlagen konnte.«
»Sie
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