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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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seit einem Jahrzehnt nicht mehr genutzt worden, denn die Bedrohung des letzten Krieges war auf jeden Fall reichsweiter Natur gewesen. Doch jetzt, wo der große Gegner geschlagen war, zog wieder der Alltag ein, und der bedeutete für Grenzregionen …
    Mott hatte seine Hausaufgaben gemacht.
    »Aber ich habe gar keine Armee aufgestellt«, wand ich ein. »Wir haben etwas an den Mauern gebaut, aber ich habe 30 Mann unter Waffen, und der Eintreiber wird mir niemals abnehmen …«
    »Aber nein«, unterbrach Netty mich. »200 Mann habt Ihr aufgestellt, edler Baron. Eine Miliz, zusammengekratzt aus allem, was eine Waffe tragen kann, mit den Farben des Reiches angetan, entschlossen, das Reich hier und nirgends anders zu verteidigen.«
    Ich starrte sie an. »Ist das so?«
    Netty nickte. »So ist es. Ihr müsst den Eintreiber nur einige Tage aufhalten, dann wird die Truppe zur Inspektion bereitstehen. Vor der Baustelle der neuen Stadtmauer.«
    Ich starrte weiter. »Ist das so?«
    »200 Mann, und keiner weniger. Kosten eine Menge Sold.«
    »Das ist …«
    »Und die Ausrüstung.«
    »Die …«
    »Waffen. Oft primitiv, aber jede schartige Klinge erfüllt von bebender Leidenschaft und dem Verlangen, das eigene Leben für das Wohl des Reiches hinzugeben. Kostet auch Geld.«
    »Das ist wohl wahr.«
    Ich nahm einen Schluck Schnaps.
    Die Tür öffnete sich und Frederick trat ein. Er trug das Schatzbuch der Provinz bei sich. Es verzeichnete die Einnahmen und Ausgaben eines Landadligen. Ich war verwundert, denn ich hatte ein solches mangels Einnahmen nie angelegt. Da war mir wohl etwas entgangen.
    Der Kastellan platzierte den Folianten direkt vor meiner Nase.
    Ich schlug ihn auf.
    Feine Kolonnen mit Einnahmen und Ausgaben.
    »Ihr müsst nur noch unterschreiben«, meinte Frederick und sah mich mit Unschuldsmiene an.
    Ich wiederum fokussierte meinen Blick auf Mott.
    »200 Mann zur Inspektion?«
    »Und klagende, leidende Flüchtlinge aus Felsdom, die schreckliche Geschichten über ihr Schicksal erzählen werden«, fügte Netty hinzu. »Wir haben sogar noch Zelte in einigen Gärten aufgebaut.«
    »Zelte?«
    Netty lächelte. »Die Armen!«
    Lotvar goss mir nach.
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, gerade einmal wieder die Kontrolle verloren zu haben.
    Das war kein schlechtes Gefühl. Die Wärme in mir hatte sicher etwas mit dem Schnaps zu tun.
    Aber nicht nur. Nicht nur.
        
     

19   Eine andere Form der Leidenschaft
     
    Lord Olifek war ein scharfer Hund, das sah man ihm an.
    Er war am Abend in Tulivar eingetroffen, zusammen mit zehn weiteren Männern, vier davon eine persönliche Leibwache, sechs eindeutig als Schreiber und Beamte zu identifizieren. Dass meine Männer für die Zeit des Besuches entweder im Freien kampieren oder bei ihren Freundinnen – in zwei Fällen ihren Frauen – in der Stadt wohnen mussten, schien er für selbstverständlich zu halten. Sein schmales Gesicht mit den unruhigen, ewig suchenden Augen stand in Kontrast zu einem Hintern, der zu viele breite Sessel gesehen hatte. Die Vehemenz, mit der er das zu seinen Ehren bereitete Gastessen in sich hineinschlang, war bemerkenswert. Ich hatte in meinem Leben schon viele hungrige Menschen kennengelernt, war selbst schon oft ausgehungert gewesen. Wenn man dann nach langem Darben endlich wieder etwas Ordentliches hingestellt bekam, aß man gerne, viel und intensiv. Doch die glühende Begeisterung, gemischt mit einer ehrgeizigen Gier, die Olifek beim Essen an den Tag legte, hatte etwas Unheimliches. Es schien, als würde er bei jedem Bissen den Tod des Bratentieres oder Hühnchens ein zweites Mal genießen. Dass er dem Gemüse dementsprechend nur beiläufig zusprach, passte ins Bild. Es war ein faszinierendes Bild, aber gleichzeitig ein verstörendes.
    Der Steuereintreiber war an diesem Abend zu keiner Arbeit mehr bereit, aber das hielt ihn nicht davon ab, in das Tischgespräch sorgsam formulierte und geschickt getarnte Fangfragen einzuweben. Ich hatte die Gäste des Abends sorgfältig ausgesucht: Selur, der mit Worten umgehen konnte, Frederick, der Olifek und seine Manierismen kannte, und Mott, der ebenfalls mit ihm vertraut war. Ich selbst täuschte Schmerzen einer alten Kriegsverletzung vor und verzog vor der Antwort auf jede Frage erst mal das Gesicht, was mir Gelegenheit gab, in Ruhe über meine Entgegnung nachzudenken.
    Olifek war kein Narr. Er merkte, dass er mit seinen Fragen auf eine nachgiebige Wand traf, gegen die es sich nicht lohnte anzurennen. Ich wusste

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