Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
dieses Jahr keinen Zehnten erhoben. Ich war damit beschäftigt gewesen, mein Geld auszugeben, nicht welches einzunehmen. Es erschien mir falsch, Geld einzutreiben, ohne mich vorher ein wenig unter Beweis gestellt zu haben. Der Verlust Felsdoms hatte die Situation noch einmal für mich verschärft. Meine Hoffnung war, im kommenden Jahr zumindest eine nominelle Steuer eintreiben zu können, um meine geliebten Untertanen daran zu erinnern, dass meine unendliche Fürsorge sie auch etwas kostete.
Aber dieses Jahr …
Und die Tatsache, dass Frederick hier so früh stand und nach dem Unheil Ausschau hielt, verhieß auch nichts Gutes.
»Du kennst den Eintreiber?« Schon vor einiger Zeit waren wir zu vertraulicher Anrede übergegangen, wenn kein offizieller Anlass dies verbot.
Er nickte sorgenvoll.
»Lord Olifek Nauj ist ein übler Bursche«, sagte er. »Er wurde vom Imperator dafür geadelt, auch in den schlimmsten Kriegsgebieten die Steuer aus den Leuten herauszuholen. Seit drei Jahren ist er für Bell zuständig, er hat sein Amt direkt in der Burg des Grafen. Damit ist automatisch auch Tulivar unter seiner Hoheit. Er war jedes Jahr hier, er hat es immer wieder versucht, obgleich er schnell gesehen hat, dass hier aber auch gar nichts zu holen war. Er hat die ganze Provinz bereist, mehrfach. Er kennt sich gut aus.«
»Er hält sich an die Provisio?«
»Das tut er. Das will ich ihm lassen. Er ist nicht korrupt und er hält sich an die Regeln.«
Die Provisio war, was Tulivar in der Vergangenheit gerettet hatte. Das imperiale Edikt besagte, dass nur dann jemandem der Zehnte abverlangt werden konnte, wenn die neun Zehntel, die übrig blieben, ausreichend waren, den Lebensunterhalt des Jahres zu bestreiten. Angesichts der Tatsache, dass die Baronie sehr verarmt war und nicht einmal lokale Steuern erhob, war dem Eintreiber sicher klar geworden, dass die Provisio hier großflächig griff. Es sprach aber für seine Hartnäckigkeit, dass er dies jedes Jahr aufs Neue genauestens erforschte. Und jetzt, wo überall Mauern und Straßen in verhältnismäßig neuem Glanz erstrahlten, würde er in diesem Bemühen ganz sicher nicht nachlassen. Vor allem, weil rein theoretisch ich derjenige war, der für ihn den Zehnten einzutreiben hatte.
Da aber Landadligen nicht zu trauen war, war es schon immer ehrwürdige Tradition gewesen, dass sich der kaiserliche Eintreiber selbst darum bemühte. Dass er dabei eine Truppe von Helfern mit sich führte, ihm persönlich verschworen, erleichterte seine Arbeit. Es war gut möglich, dass er mit einer Armee anrückte, die größer war als meine sehr bescheidene Streitmacht.
Landadligen war, wie gesagt, nicht zu trauen, und diese Wahrheit galt seit Jahrhunderten.
Ich bedauerte es sehr, keinen Rechtsgelehrten unter meinen Männern zu haben. Normalerweise sollte ein Fürst wie ich über einen Stab an Bürokraten verfügen, die mit Besuchern wie Lord Olifek richtig umzugehen wussten. Olifek würde seine Experten dabeihaben, obgleich er ihrer wahrscheinlich gar nicht bedurfte. Ich war aber nicht gut vorbereitet auf das, was nun passieren würde.
Die kommenden beiden Tage verbrachte ich damit, den Besuch des Steuereintreibers vorzubereiten. Seine Unterkunft sollte zumindest angemessen sein.
Ich stellte fest, dass sich die Ankunft des speziellen Besuchs schnell herumsprach. Es war am frühen Morgen des Tages, an dem wir das Eintreffen des Eintreibers erwarteten, als eine seltsame Delegation in Turm Tulivar eintraf. Sie bestand aus Mott, dem Bürgermeister, Lotvar, dem Schnapsbrenner, sowie der alten Netty. Ich empfing sie zum Frühstück, der Tageszeit angemessen, und nachdem sie sich alle um den Esstisch des Kastellans gesetzt hatten, ergriff Mott das Wort.
»Baron«, erklärte er mit einer gewissen Förmlichkeit in der Stimme, die mich aufhorchen ließ. »Wir haben von Eurem Problem gehört und haben festgestellt, dass es auch unser Problem ist.«
Ich erwiderte nichts.
»Wir haben alle durch die Dinge, die Ihr begonnen habt, profitiert«, fuhr nun Lotvar fort, der einen ganz uncharakteristisch nüchternen Eindruck machte. »Wir haben die Wahl: entweder in ärmlichsten Verhältnissen zu leben oder zu akzeptieren, dass jede Verbesserung unseres Lebens auch Begehrlichkeiten weckt. Und manche dieser Begehrlichkeiten können wir abwehren, andere eher nicht.«
Ich nickte. Lord Olifek würde ohne Zweifel der Ansicht ein, dass er Ansprüche vertrat, die abzuwehren keine sehr gute Idee war. Ich war
Weitere Kostenlose Bücher