Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Ich glaube, der halbe Haushalt des Imperiums war mittlerweile verpfändet, um die Schulden des Reiches an diese Familie zu begleichen.
Ich nickte also nur. Olifek wusste Bescheid.
»Was ich sagen möchte, Lord Tulivar, ist dieses: Ich werde Euch dieses Jahr verschonen, um eine in meinen Augen bestehende Ungerechtigkeit auszugleichen. Ich habe keinen guten Ruf, dessen bin ich mir schmerzhaft bewusst. Aber ich bin kein Narr. Und die großen Familien in der Hauptstadt haben dem Reich oft mehr geschadet als genützt. Ich muss Euch warnen: Die Verantwortlichen für all dies werden nicht nachlassen in ihrem Tun. Für den Winter werdet Ihr Ruhe haben – aber bereitet Euch darauf vor, dass die Maßnahmen gegen Euch mit dem Tauwetter wieder beginnen. Und bei Hofe wird man Eure ohnehin schwache Stellung weiter zu unterminieren trachten.« Er hielt inne. »Ihr benötigt einen Spion bei Hof. Macht Euch darüber Gedanken. Das kostet Geld, aber wäre die Investition wert. Ich könnte … Euch behilflich sein. Ich kenne Leute.«
Das glaubte ich ihm jederzeit. Mein Schädel brummte. Meine Verwirrung über die ständigen Wendungen meines Schicksals sollte wohl niemals nachlassen. Und ich hatte weniger und weniger Kontrolle über das, was um mich herum geschah. Ich war es nicht gewohnt, hilflos zu sein. Ich hasste es. Ich stellte den Becher mit Wein zur Seite und beäugte die bauchige Flasche mit dem Kartoffelschnaps.
»Das wird Euch nicht helfen«, murmelte Olifek, der meinem Blick mit seinen Augen gefolgt war. »Es verschafft vorübergehende Linderung, aber mehr auch nicht.«
Ich nickte, schwieg. Dann entrang sich mir halb unwillentlich ein Seufzen, das alles zusammenfasste, was ich empfand.
Olifek grinste. »So schlimm ist es nicht, mein Lord Tulivar«, meinte er. »Ihr zahlt dieses Jahr keine Steuern. Macht das Beste draus.«
Ich lächelte schwach zurück und rang mir so etwas wie sanfte Hoffnung ab.
»Aber nächstes Jahr lasse ich Euch bluten, nur damit das klar ist«, fügte Olifek immer noch grinsend hinzu.
Ich verschaffte mir vorübergehende Linderung.
21 Ein Winter
Kaum war Lord Olifek abgereist, wurde es richtig kalt.
Frost und Schnee waren nichts, an was ich gewöhnt war. Der Großteil des Krieges hatte sich im Süden abgespielt, und dort hatte es zwar auch Winter gegeben, doch waren diese eher milde gewesen, mit wenig Schnee und viel Regen, manchmal empfindlich kalt, aber dies nie länger als wenige Wochen.
Die Bewohner von Tulivar würden über diese Art von Winter lachen. Hier krallte sich eine durchdringende Kälte in den Boden, in jedes Mauerwerk, in die Dächer, ja in die Luft. Sie war allumfassend und gnadenlos, sie war immerwährend und niemals nachlassend. Ein Feuer mochte sie für eine Weile in Schach halten, der Kamin des Turms sogar für eine lange Nacht, aber sobald man einen Fensterladen öffnete oder ins Freie trat, wusste man sofort, wer die Baronie wirklich regierte, und das mit kalter, unerbittlicher Hand.
Der Winter im Norden dauerte lang, sehr lang. Die Tage waren kurz und meist düster, und die Gesichter aller Leute wurden länger und länger. Ich versuchte, alle auf Trab zu halten, aber egal, was man anzog, die Kälte zog einem die Kraft aus den Gliedern. Selbst der sonst immer zu einem fröhlichen, wenngleich unpassenden Kommentar bereite Selur wurde schweigsamer, sodass ich fast befürchten musste, dass er krank geworden sei.
Krank wurden wir alle.
Die Männer aus dem Süden vor allem. Unsere Körper waren an die beißende Kälte nicht gewöhnt. Erkältungen machten immer wieder die Runde, und auch ich blieb davon nicht verschont. Ich dankte den Göttern für meine Bemühungen, mit meinen Untertanen freundschaftliche Bande zu knüpfen, denn ohne die fachkundige Hilfe der hiesigen Kräuterfrauen und den Genuss ungenießbarer Tees und die Sudwickel hätte es uns alle noch viel schlimmer erwischt. Es half auch, dass nunmehr fast ein jeder meiner Männer eine mehr oder weniger dauerhafte Liebschaft hatte und diese mit dem Wetter sehr erfahrenen Frauen manches zu lindern vermochten, was ansonsten mindestens zu andauerndem Selbstmitleid geführt hätte.
Die Bewohner der Baronie nahmen den Winter mit Gleichmut. Die Vorräte reichten für alle, die Ernte war ja gut gewesen. Also kein Grund zur Sorge. Frieren hatte noch niemandem geschadet, und man konnte ja im Bett bleiben. Es gab eh kaum etwas zu tun. Die aufregendste Beschäftigung war es, die Kinder der beiden
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