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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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Töchter Fredericks zur Welt zu bringen. Ich durfte feststellen, dass die alte Netty als die beste Hebamme der Stadt galt. Sie wachte bei beiden Frauen und half, gesunde Kinder zu gebären. Irgendwie heiterte uns das alle auf. Es stimmte, dass Kinder die Hoffnung mit sich brachten, egal ob sie in späteren Jahren enttäuscht wurde oder nicht. Aber Neugeborene hielten die Welt in den Händen, wie meine Mutter immer gesagt hatte. Da war offenbar etwas dran.
    Ich lernte, die Nacht zu schätzen. Tage waren deprimierend: Es wurde nicht richtig hell und man hing lustlos herum und starrte auf das Kaminfeuer. Es waren keine richtigen Tage für mich, sondern falsche Nächte, die mit dem Versprechen auf Aktivität begannen, aber dann nur Monotonie und unsichtbare Fesseln bereithielten. Holzhacken half manchmal. Aber das dachten viele, und bald gab es nicht mehr genug Holz, das man hätte hacken können.
    Die Nacht aber war die Nacht. Das hatte sich nicht verändert. Ja, sie war ungleich kälter als der Tag, doch ich hatte mittlerweile eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt, mich warm einzupacken. So teilte ich mich zur Nachtwache ein oder blieb zumindest zusätzliche Stunden wach, die ich dann am langweiligen Tag verschlafen konnte.
    He, ich war der Baron. Ich durfte das.
    Diese Nacht war einmal mehr sternenklar und bitterkalt. Auf der Holzbalustrade grüßte ich die einsamen Nachtwächter, die sich wahrscheinlich auch fragten, vor wem sie das Kastell eigentlich schützten, und wie ich feststellen durfte, war mein Freund Selur heute Kommandant der Nachtwache. Wie ich seinen rot geränderten Augen ansehen konnte, hatte er sich auf diese Aufgabe nicht mit ausreichend Bettruhe vorbereitet. Er hielt einen dampfenden Becher mit einem Tee in der Hand, dessen charakteristischer Geruch mir wohlbekannt war. Er gehört zu den Spezialmischungen der alten Netty und würde nach ihrer Aussage »müde Männer munter« machen. Ich war mir bis heute nicht sicher, worauf sich das tatsächlich bezog, aber mehrere meiner Leute priesen die Wirkung des Gebräus auf ihre Fähigkeit, die langen Stunden der Nachtwache, vor allem die Periode der Schweinewache ab Mitternacht, einigermaßen gut zu überstehen. Selur bot mir einen solchen Trunk an, doch ich lehnte dankend ab. Ich hatte den Vormittag verschlafen und fühlte mich nicht sehr ermattet, sodass ich die Zufuhr von suspekten Mittelchen auf ein Mindestmaß zu begrenzen trachtete. So richtig traute ich den Mixturen der alten Netty noch nicht.
    Ich stellte mich an die Verschanzung und schaute auf die weite, weiße Fläche vor mir. Das helle Sternenlicht wurde von der glatten Schneefläche, die nur hin und wieder durch einen Baum oder einen großen Felsen unterbrochen wurde, mit Freude aufgenommen. Es war hell und ich hätte mich auf einer Nachtwanderung ohne eine Fackel orientieren können. Derzeit fiel kein Schnee, dafür fehlte es an Wolken, aber tagsüber hatte es stundenlang geschneit, und es war so kalt, dass die Decke uns noch eine Weile würde erhalten bleiben. Es war ein angenehmer Anblick, von stiller Würde, und hatte etwas sehr Besinnliches. Das Gute war, dass man auf dieser weißen Fläche auch in der Nacht jeden Ankömmling sofort würde erkennen können, was die Arbeit der Nachtwache erleichterte.
    Trotzdem waren vom Tor des Kastells den Weg hinunter auf zehn Meter auf jeder Straßenseite vier Öllampen in den Boden gerammt worden. Sie brannten langsam und daher lange und erhellten den Zugang zum Kastell zusätzlich. Doch seit Anbruch des Winters hatte es keine absichtlichen oder unabsichtlichen nächtlichen Besucher gegeben, und ich erwartete nicht, dass sich das in dieser Nacht ändern würde.
    »Was war das?« Selur hatte ein besseres Gehör als ich. Er hatte es jahrelang trainiert, um die nahenden Schritte gehörnter Ehemänner frühzeitig vernehmen und sich auf die Flucht vorbereiten zu können.
    Ich trat neben ihn und starrte angestrengt auf die weiße Fläche.
    »Ich habe nichts gehört«, sagte ich.
    »Eine Art Klagen oder Wimmern«, meinte Selur leise und schloss die Augen, um intensiv zu lauschen. »Es war weit entfernt.«
    »Eine Katze«, mutmaßte ich.
    Selur nickte, wirkte aber nicht überzeugt.
    Dann hörte ich es auch. Ein kurzer Ton, hell, für einige Sekunden in die Länge gezogen, dann fiel er abrupt ab. Ich wusste, wie Katzen schrien, und obgleich es sich manchmal erschreckend menschlich anhörte, war dies hier doch … anders gewesen.
    »Es kommt von dort!«,

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