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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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hatte, so stellte ich schnell fest, so ein … Wesen noch nie zuvor in meinem Leben erblickt, soweit ich das von dieser Perspektive aus erkennen konnte.
    Selur und ich blickten uns an. Erschüttert waren wir nicht, eher überrascht. Wir hatten gegen die Bannwölfe von Thrugur gekämpft, die sich auch wie Menschen gebärdeten. Wir hatten Orks hingeschlachtet – ich hoffte stark, dass wir sie ausgerottet hatten, zumindest waren wir damals sehr fleißig gewesen –, und diese sahen ja auch letztlich wie Menschen aus. Menschen mit gewaltigen Hauern und bösen, bösen Krallenhänden. Die Zauberer unseres einstigen Feindes hatten allerlei Experimente mit ihren Sklaven gemacht, und manche der Ergebnisse waren in die Schlacht geschickt worden, wenn sie die Prozedur als solche überlebt hatten. Die Fantasie unserer Feinde war monströs gewesen, und so hatten auch ihre Schöpfungen ausgesehen. Wir hatten sie ohne Hass, aber dafür mit Mitleid niedergestreckt.
    Nein, erschüttern konnte uns nur noch wenig. Es galt jetzt vielmehr herauszufinden, ob wir es hier mit einem Freund, einem Feind – und überhaupt mit etwas Intelligentem zu tun hatten.
    Offenbar hatten wir uns mit der Betrachtung des Wesens etwas zu viel Zeit gelassen. Es stellte sein Klagen ein, blickte uns forschend an und sagte dann mit heller, fast piepsiger Stimme: »Wollt ihr mir jetzt helfen oder nicht?«
    Selur und ich wechselten einen schnellen Blick. Wie auf Kommando traten wir vor, maßen den Baumstamm mit Armen und Augen und kamen zu der gleichen Erkenntnis.
    »Wir können ihn rollen, aber nicht anheben«, sagte ich.
    »Ich werde es überleben. Mein Bein liegt in einer Mulde, es ist kaum gequetscht, ich komme nur nicht mehr frei.«
    Zu diesem Zeitpunkt wurde mir die Diskrepanz zwischen den andauernden Klagerufen, mit denen wir hierher gelockt worden waren, und dem tatsächlichen Ausmaß der Verletzung noch nicht recht bewusst. Daher verstand ich auch das misstrauische Stirnrunzeln Selurs nicht richtig. Ich folgte dem Impuls zu helfen.
    Auf mein Geheiß stemmten wir uns gegen den Stamm. Er war sauber vom Stumpf abgebrochen und ließ sich daher bewegen. Mit einem entschiedenen Ruck rollten wir ihn zur Seite. Dem Wesen entrang sich nicht einmal so viel wie ein Stöhnen.
    Wir warfen einen Blick auf das nun freigelegte Bein, und die Aussage des Wesens zeigte sich bestätigt. Die Verletzung war, soweit ersichtlich, eher oberflächlicher Natur. Das Geschöpf zog das Bein vorsichtig aus der Mulde, bewegte es an einem sehr menschlich wirkenden, fellbedeckten Knie, fand keinen Makel und erhob sich mit einer fließenden Bewegung. Wie es da vor uns stand, erkannten wir zwei Dinge: Das Wesen war gut einen Kopf kleiner als wir, schmal gebaut, mit fast schon zerbrechlich wirkenden Armen, und es handelte sich um ein weibliches Wesen, wenn mich nicht alles täuschte. Jedenfalls war die Reihe von zitzenähnlichen Knospen auf dem Oberkörper ein recht deutlicher Hinweis darauf.
    So schauten wir uns einige Augenblicke lang an und machten uns unsere Gedanken.
    Es war das Wesen, das das Schweigen brach.
    »Es ist kalt hier«, wies es uns auf eine momentan verdrängte Tatsache hin.
    Ich räusperte mich. »Ich bin …«
    »… der neue Baron, ja. Das Land hat lange auf dich gewartet. Es war zu lange schon ohne Orientierung.«
    Ich blinzelte.
    »Dann darf ich dich an das wärmende Feuer unseres Turms einladen«, sagte ich. »Darf ich denn erfahren, mit wem ich es zu tun habe?«
    »Mein Name ist Neja, die Sprecherin.«
    Ich bekam mehr und mehr den Eindruck, dass hier etwas geschah, was ich nicht verstand und nicht meiner Kontrolle unterlag. Ein Gefühl, das mir mittlerweile nur zu vertraut war.
    Ich wies auf meinen Begleiter. »Das ist …«
    »… Selur, der Fruchtbare. Er hat dem Land bereits das Lachen von drei Kindern geschenkt.«
    Ich warf Selur einen scharfen Blick zu. Dieser schaute mich zugleich vollkommen unschuldig wie schuldbewusst an. So etwas gelang nur ihm. Und offenbar hatte er es auch nicht für notwendig erachtet, mir davon zu erzählen. Soweit er selbst überhaupt davon wusste.
    Ich deutete Neja gegenüber eine Verbeugung an.
    »Dann darf ich dich begleiten, Sprecherin.«
    Der Rückweg verlief ereignislos. Neja schwebte leichtfüßig über den Schnee. Neben ihr wirkte selbst der eher grazile Selur wie ein ungeschicktes Pummelchen.
    Als wir das Kastell erreicht hatten, merkten wir, dass Brocius angesichts unseres seltsamen Gastes bereits einige Leute in Aufregung

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