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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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versetzt hatte. Zu diesen gehörte auch Frederick, der Kastellan.
    Wir durchschritten das Tor und standen im Schein zahlreicher Fackeln. Neja eilte nicht sofort auf den Wärme verheißenden Turm zu, sondern blieb eine Zeit mitten auf dem Hof stehen. Sie ließ sich betrachten, ein seltsames Persönchen, zerbrechlich fast. Ich zollte ihr Respekt. Waffen senkten sich. Einige meiner Männer lächelten. Alle entspannten sich.
    Kluges Mädchen.
    Frederick trat nach vorne. Er wirkte eher erregt als entspannt.
    »Mein Vater hat mir von euch erzählt«, sagte er laut. »Mir hast du dich nie gezeigt.«
    Neja neigte den Kopf in einer fast entschuldigenden Geste. »Auch deinem Vater nicht, Sachwalter. Sei nicht beleidigt oder enttäuscht. Das Land wartete auf den Baron.«
    Frederick nickte. Er tat dies mit Einsicht und einem Wissen, das mir noch fehlte.
    Ich gewöhnte mich wirklich daran. Es machte mir gar nichts mehr aus. Ehrlich!
    »Hier entlang!«, wies ich auf den Turm. Mir war auch daran gelegen, wieder ins Warme zu kommen.
    Brocius hatte das Feuer im großen Kamin neu entfacht und Stühle bereitgestellt. Neja rollte sich halb auf einem zusammen. Bei rechtem Licht betrachtet, war sie weniger so etwas wie ein menschlicher Wolf, sondern eher ein gigantischer Lemur oder ein Erdhörnchen. Mir war diese Spezies vorher nie begegnet.
    »Du musst unsere Zurückhaltung entschuldigen«, sagte ich zur Einleitung. »Es gab den Krieg und währenddessen …«
    »… bist du vielen von uns begegnet, die dir übelwollten«, vervollständigte Neja.
    »Nicht direkt von deinem Volk …«
    »Ich verstehe.« Neja, die Sprecherin, war eher Neja, die Unterbrecherin. Trotzdem nahm ich ihr ab, dass sie tatsächlich verstand. Ich war beunruhigt. Ich hatte solche Augenblicke des stillen Einverständnisses mit alten Gefährten wie Woldan oder Selur und in den letzten Monaten manchmal auch mit Dalina. Aber …
    »Neja, ich bin irritiert«, sagte ich schließlich und beließ es dabei.
    Neja nickte. »Ich habe Hunger!«
    Frederick erhob das Wort. »Jola, hol ein Huhn aus dem Stall. Ein lebendes.«
    Jola, eine von Fredericks Töchtern, nickte fügsam und verschwand.
    Uns erwartete jetzt, dessen war ich mir sicher, eine ziemliche Schweinerei.
        
     

22   Neja, die Sprecherin
     
    Nejas Stimme wirkte einschläfernd, vor allem auf jemanden, der wie ich schon eine Weile wach war und so langsam ermüdete. Dem Wesen gelang es, uns wach zu halten, indem sie manchmal in ihren Tonfall ein helles Quietschen einbaute – absichtlich oder nicht –, das so klang, als würde man Metall auf Metall schleifen. Es war immer nur kurz und ging durch Mark und Bein, und wir gewöhnten uns nur schwer daran. Aber wir blieben wach. Dass die gute Jola neben einem lebenden Huhn auch eine Schwester mitbrachte, die sich mit einem anregenden Kräutertee um uns kümmerte, half sicherlich ebenfalls.
    Die Schweinerei, die ich erwartet hatte, verlief relativ harmlos. Neja bedankte sich artig für das Huhn, betrachtete es kurz mit einem gefährlichen, hungrigen Blick, drehte der Henne dann mit einer präzisen Bewegung den Hals um und hielt den zuckenden Leib einige Augenblicke in die Luft. Dann bleckte sie ihre Zähne, die bemerkenswert spitz und scharf auf den unvoreingenommenen Beobachter wirkten, und riss dem toten Tier den Kopf ab. Anstatt dass wir daraufhin alle mit Blut vollgespritzt wurden, drückte sie gekonnt den Hals ab, spuckte den Schädel zu Boden und begann dann, den restlichen Tierleichnam mit schmatzenden Geräuschen förmlich … auszulutschen.
    Sie hatte eine lange Zunge.
    Wir blickten schweigend zu, bis Neja ihre Mahlzeit beendet hatte. Wie um den barbarischen Eindruck sogleich zu widerlegen, legte sie den blutleeren Leichnam sorgfältig beiseite, griff nach einem Tuch und tupfte sich die Schnauze mit fast schon gezierter Sorgfalt ab. Dann faltete sie das etwas blutige Tuch zusammen und sah sich fragend um. Frederick wies auf das Kaminfeuer, worin es sofort knisternd verschwand.
    Neja seufzte. Es klang entspannt und satt. Es beunruhigte mich.
    Sie erhob die Stimme.
    »Ich bin Neja, die Sprecherin. Ich spreche für das Land.« Sie sah mich an. »Du bist mit Landmagie vertraut, Baron?«
    Ich hob die Schultern.
    »Ich habe davon gehört«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Sie war früher sehr stark, sagt man. Jeder Landstrich war mit eigener Magie angefüllt, und das Land lebte in Eintracht mit den Menschen – oder auch nicht, was zu Missernten und anderen

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