Ein Lotterie-Loos
anhalten sollte, zu erreichen. Weiter hätte derselbe, ohne zum Schwimmen eingerichtet zu sein, auch nicht gehen können. An dieser Stelle des Thales beginnt nämlich der »Seeweg«; hier befindet sich ein sogenannter »Vandskyde«, d. h. eine Wasser-Fahrstation, und hier halten auch die gebrechlichen kleinen Fahrzeuge, welche in dessen ganzer Länge und Breite den Dienst auf dem Tinn-See versehen.
Der Schußkarren hielt nahe der kleinen Kirche des Ortes am unteren Ende eines fünfhundert Fuß hoch herabstürzenden Wasserfalles. Dieser zum fünften Theile seiner Länge sichtbare Fall verschwindet erst in einer tiefen Höhle des Berges, ehe er von dem See selbst aufgenommen wird.
Zwei Fährleute befanden sich an der äußersten Spitze des Ufers. Ein Boot aus Birkenrinde, dessen sehr wenig gesichertes Gleichgewicht seinen Passagieren nicht eine Bewegung von einem Bord zum anderen gestattet, war zum Abstoßen fertig.
Der See lag jetzt im vollen Glanze seiner Morgenschönheit da; die Sonne hatte schon beim Aufgehen die Dünste von dessen Oberfläche weggetrunken; einen herrlicheren Sommertag hätte man sich nicht wünschen können.
»Sie sind doch nicht zu sehr ermüdet, lieber Joël? fragte der Professor, sobald er aus dem Karren gestiegen war.
– Nein, Herr Sylvius; bin ich solche weite Wege durch Telemarken nicht schon längst gewöhnt?
– Das ist wohl wahr. Doch sagen Sie, ist Ihnen wohl der nächste Weg von Moel nach Christiania bekannt?
– O, vollkommen, Herr Sylvius. Am Ende des Sees, bei Tinoset angelangt… Doch da fällt mir ein, ich weiß nicht, ob sich dort Schußgelegenheit für uns finden wird, da wir keine »Forbuds« zur Anmeldung unserer Ankunft auf der Station gesendet haben, wie man es hier sonst zu thun pflegt…
– Darüber beruhigen Sie sich, mein Sohn, antwortete der Professor, das habe ich schon besorgt. Es konnte doch nicht meine Absicht sein, Sie den ganzen Weg von Dal nach Christiania zu Faß zurücklegen zu lassen.
– Nun, wenn’s gerade sein müßte… meinte Joël.
– Es muß aber nicht sein. Doch sprechen wir von unserer Fahrt; welchen Weg würden wir Ihrer Ansicht nach zu nehmen haben?
– Sehr einfach; von Tinoset aus, Herr Sylvius, fahren wir über Vik und Bolkösjö um den Fol-See, um nach Möse und von da nach Kongsberg, Hangsund und Drammen zu gelangen. Wenn wir in der Nacht ebenso schnell reisen wie am Tage, wäre es nicht unmöglich, morgen Nachmittag schon in Christiania einzutreffen.
– Schön, Joël; ich sehe, daß Sie das Land hinlänglich kennen, und das wird ohne Zweifel eine höchst angenehme Fahrt werden.
– Wenigstens die kürzeste.
– Richtig, Joël, doch auf die kürzeste – verstehen Sie? – kommt es mir nicht so sehr an, antwortete Sylvius Hog. Ich weiß eine andere, welche unsere Reise freilich um ein paar Stunden verlängert, und diese kennen Sie auch recht gut, wenn Sie derselben auch nicht erwähnten.
– Und welche?
– Ei, die Fahrt über Bamble!
– Ueber Bamble?
– Ja, ja, Bamble! Stellen Sie sich nur nicht so unwissend! Bamble, wo der Pächter Helmboë und seine Tochter Sigrid wohnen.
– Herr Sylvius!…
– Diesen Weg schlagen wir also ein, und wenn wir um den Fol-See an der Südseite statt an der Nordseite fahren, meinen Sie nicht, daß wir dabei ebenso gut nach Kongsberg kommen?
– Ebenso gut und selbst noch besser! bestätigte Joël lächelnd.
– Ich danke Ihnen im Namen meines Bruders, Herr Sylvius, sagte das junge Mädchen.
– Und nicht im eigenen Namen, meine kleine Hulda, denn ich denke, es wird Ihnen Vergnügen machen, Ihre Freundin Sigrid im Vorüberkommen einmal wiederzusehen?«
Das Boot war zur Abfahrt fertig. Alle Drei nahmen auf einem Haufen im Hintertheile desselben aufgestapelter grüner Blätter Platz.
Rudernd und gleichzeitig steuernd trieben die zwei Fährleute das Fahrzeug hinaus.
Wenn man sich vom Ufer an dieser Stelle entfernt, beginnt der Tinn-See sich bald auszuweiten, und zwar von Haekenaës an, einem kleinen aus zwei bis drei Häusern bestehenden Gaard (Gehöft), erbaut auf dem felsigen Vorsprunge, der sich in dem schmalen Fjord badet, dem friedlich die Gewässer des Maan zufließen.
Der See erscheint noch immer stark eingedämmt; nach und nach jedoch weichen die seinen Rahmen bildenden Berge weiter zurück und man gewinnt erst eine Vorstellung von ihrer Höhe, wenn gerade ein Fahrzeug am Fuße derselben vorübergleitet und doch nicht größer als ein gewöhnlicher Wasservogel aussieht.
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