Ein Lotterie-Loos
annahmen. An einen längeren Aufenthalt war jedoch nicht zu denken, wenn die durch den Umweg über Bamble verlorenen Stunden in der Nacht wieder eingebracht werden sollten. Um neun Uhr wurden also die Pferde von der Schußstation durch einen Burschen aus dem Gaard geholt, der dieselben sofort anspannte.
»Bei meinem nächsten Besuche, lieber Herr Helmboë, sagte Sylvius Hog zu dem Pächter, bleib’ ich, wenn Sie es wollen, sechs Stunden lang bei Tische sitzen; heute aber bitte ich Sie um die Erlaubniß, die Nachspeise durch einen ehrlichen Handschlag zu ersetzen, den Sie mir nicht verweigern werden, und durch einen herzlichen Kuß, den Ihre reizende Sigrid meiner Hulda geben wird.«
Nachdem dies geschehen, brach die kleine Gesellschaft auf
In jener hohen Breite mußte die Dämmerung noch einige Stunden andauern. Und auch lange nach Sonnenuntergang blieb der Horizont noch deutlich sichtbar, so klar war heute die Atmosphäre.
Es ist eine schöne, freilich ziemlich bergige Straße, die von Bamble über Hitterdal an der Südseite des Fol-Sees nach Kongsberg führt. Sie durchschneidet dabei den ganzen Mitteltheil von Telemarken, indem sie die Flecken, Weiler und Gaards der Nachbarschaft berührt.
Eine Stunde nach der Abfahrt konnte Sylvius Hog, ohne daß er hier anhielt, die Kirche von Hitterdal wahrnehmen, ein altes, höchst merkwürdiges Bauwerk, mit zinnengekrönten, aber ohne Rücksicht auf Regelmäßigkeit der Linien übereinander gepackten Stockwerken. Das Ganze besteht aus Holz, von den aus dicht aneinander gefügten Balken und sich dachziegelartig deckenden Planken bestehenden unteren Umfassungswänden an bis hinauf zum obersten Glockenthürmchen. Diese Aufhäufung von Pfefferbüchsen ist, wie es scheint, ein ehrwürdiges und hochverehrtes Denkmal der skandinavischen Baukunst des dreizehnten Jahrhunderts.
Allmählich sank nun die Nacht herab eine jener Nächte, welche stets der letzte Schimmer des Tages durchzittert; gegen ein Uhr früh mischte sie sich aber schon wieder mit dem neuen Morgengrauen.
Auf dem Vordersitze saß Joël in Betrachtungen versunken; Hulda lehnte nachdenklich im Hintertheil des Wagens. Nur dann und wann wurden einige Worte zwischen Sylvius Hog und dem Kutscher gewechselt, welchem der Professor anempfahl, die Pferde tüchtig anzutreiben. Dann hörte man nichts als das Schellengeklingel der Bespannung, das Klatschen der Peitsche und das Knarren der Räder auf der tief ausgefahrenen Straße.
Ohne Pferdewechsel ging die Fahrt die ganze Nacht hindurch fort.
Es wurde nicht nothwendig, in Listhus, einer nur mangelhaften Station, anzuhalten, die in einem Kessel tannenbedeckter Berge verloren liegt, um welche sich noch ein zweiter Kreis nackter und wilder Bergmassen erhebt. Man fuhr auch geraden Wegs durch Tineß, ein kleines, malerisches Oertchen, in dem einige Häuser auf besonderen Steinpfeilern errichtet sind. Der Reisewagen rollte unter dem Geräusche seiner Eisentheile, dem Klappern halbgelockerter Bolzen und ausgedehnter Federn ziemlich schnell dahin. Dem Rosselenker waren gewiß keine Vorwürfe zu machen – obgleich der gute Alte halb schlafend seine Zügel führte. Ganz mechanisch vertheilte er zuweilen einige gut gemeinte Peitschenhiebe, von denen das linke Pferd die meisten erhielt. Das kam aber daher, daß das rechte Pferd ihm selbst, das linke dagegen seinem Hofnachbarn zugehörte.
Um fünf Uhr Morgens schlug Sylvius Hog die Augen auf, streckte die Arme behaglich aus und sog mit Vergnügen den würzigen Tannenduft ein, der die ganze Atmosphäre erfüllte.
Man war in Kongsberg. Der Wagen passirte die über den Laagen führende Brücke und hielt jenseits derselben an, nachdem er unsern der Wasserfälle von Larbrö an der Kirche vorübergekommen war.
»Liebe Freunde, begann da Sylvius Hog, wenn’s Ihnen recht ist, werden wir hier nur die Pferde wechseln. Zu frühstücken ist es noch gar zu zeitig, d’rum ist es besser, wir machen erst in Drammen einen längeren Aufenthalt. Dort stärken wir uns durch eine tüchtige Mahlzeit und schonen dabei gleichzeitig unsern Mundvorrath von Herrn Benett.«
Demgemäß begnügten sich der Professor und Joël vorläufig mit einem Gläschen Branntwein im
Hôtel des Mines
, und als eine Viertelstunde später frische Pferde eingetroffen waren, wurde die Reise fortgesetzt.
Vor der Stadt mußte der Wagen eine ziemlich steile Rampe, welche sehr kühn von der Seite eines Berges ausgeschnitten war, emporklimmen. Einen Augenblick hoben sich die
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