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Ein Lotterielos. Nr. 9672

Ein Lotterielos. Nr. 9672

Titel: Ein Lotterielos. Nr. 9672 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Wagen kann doch wohl eingestellt werden?«
    »Ja, gewiß«, versicherte Hulda.
    »Und mein Pferd kann auch Futter haben?«
    »Ich werde es nach dem Stall bringen.«
    »Daß es nur gut versorgt wird!«
    »Seien Sie darum außer Sorge. Darf ich fragen, ob Sie
    mehrere Tage in Dal zu verweilen gedenken?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    Pferd und Wagen wurden nach einem innerhalb der
    Umfriedung errichteten offenen Schuppen gebracht, der
    schon am Fuß des Berges unter dem Schutz von Baumkro-
    nen stand. Es war das der einzige Schuppen und Stall zu-
    gleich, der sich bei dem Gasthaus vorfand, doch genügte er
    stets für die hier weilenden Gäste.
    Bald nachher war der Reisende, wie er es verlangt hatte,
    im besten Zimmer des Hauses untergebracht. Nachdem er
    den weiten Überrock abgelegt, wärmte er sich vor einem
    tüchtigen Holzfeuer, das er hatte anzünden lassen. Um seine
    wenig anheimelnde Laune zu verbessern, empfahl Hulda
    der »Piga«, ja das möglich beste Mittagsbrot zu bereiten.
    Diese »Piga« war ein kräftiges Mädchen aus der Umgebung,

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    die während des Sommers in der Küche und bei den gröbe-
    ren häuslichen Arbeiten zur Aushilfe diente.
    Der Neuankömmling war, obwohl er die 60 überschrit-
    ten haben mochte, doch noch ein wohlerhaltener Mann.
    Mager, in der Haltung etwas gebeugt, von mittlerer Größe,
    knochigem Kopf, glattem Gesicht, mit spitzer Nase und
    kleinen Augen mit durchbohrendem Blick hinter den gro-
    ßen Brillengläsern, mit einer meist in Falten liegenden Stirn
    und zu dünnen Lippen, als daß über sie je hätte ein freund-
    liches Wort kommen können, und endlich mit langen, fast
    klauenartigen Händen bildete er den Typus eines Pfandlei-
    hers oder Wucherers. Hulda hatte das Vorgefühl, als ob die-
    ser Reisende dem Haus von Frau Hansen nicht eben Glück
    bringen dürfte. Daß er von Geburt Norweger war, erkannte
    man auf den ersten Blick, doch fanden sich in seiner Er-
    scheinung von dem skandinavischen Typus nur die niedri-
    geren Seiten vereinigt. Sein Reiseanzug bestand aus einem
    niedrigen, breitkrempigen Hut, einem Rock aus weißlichem
    Tuch, einer über der Brust sich kreuzenden Weste, am Knie
    durch die Schnalle einer Lederstrippe befestigtem Bein-
    kleid und über dem allen aus einer Art bräunlichem Pelz,
    der inwendig mit Schaffell gefüttert war – was sich durch
    die auf den Hochebenen und in den tiefen Tälern Telemar-
    kens noch recht kalten Abende und Nächte hinlänglich er-
    klärte.
    Nach dem Namen dieser Persönlichkeit hatte Hulda vor-
    läufig noch nicht gefragt. Sie mußte ihn ja bald erfahren,
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    da sie ihn in das Fremdenbuch des Gasthauses einzutragen
    hatte.
    In diesem Augenblick kehrte Frau Hansen zurück. Ihre
    Tochter meldete ihr die Ankunft eines Reisenden, der das
    beste Zimmer und das beste Mittagessen beansprucht hätte.
    Ob er sich längere Zeit in Dal aufhalten würde, konnte sie
    nicht sagen, da jener sich darüber nicht ausgesprochen
    hatte.
    »Er hat auch seinen Namen nicht genannt?« fragte Frau
    Hansen.
    »Nein, Mutter.«
    »Auch nicht gesagt, woher er käme?«
    »Nein.«
    »Es ist jedenfalls ein Tourist, und ich bedaure nur, daß
    Joel nicht zu Hause ist, um sich ihm zur Verfügung stellen
    zu können. Was tun wir, wenn er einen Führer verlangen
    sollte?«
    »Ich halte ihn für keinen Touristen«, sagte Hulda. »Es ist
    ein schon bejahrter Mann . . .«
    »Doch wenn er kein Tourist ist, was sollte er in Dal
    wollen?« erwiderte Frau Hansen, vielleicht mehr mit sich
    selbst, als mit ihrer Tochter redend, und in einem Ton, der
    eine gewisse Unruhe erkennen ließ.
    Auf diese Frage vermochte Hulda nicht zu antworten, da
    ihr der Reisende von seinen Absichten ja nichts mitgeteilt
    hatte.
    1 Stunde nach seiner Ankunft trat jener Mann in die
    große, neben seinem Zimmer gelegene Stube. Beim Erbli-
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    cken von Frau Hansen blieb er einen Augenblick auf der
    Schwelle stehen.
    Offenbar kannte er bisher seine Wirtin von Person eben-
    sowenig, wie diese ihn. Er schritt also auf sie zu und be-
    gann, nachdem er sie durch die Brille scharf angesehen und
    ohne den Hut, den er noch auf dem Kopf trug, nur mit der
    Hand zu berühren:
    »Frau Hansen, wenn ich nicht irre . . .?«
    »Das bin ich, mein Herr«, entgegnete die Wirtin.
    In Gegenwart dieses Mannes empfand sie, ganz wie ihre
    Tochter, eine gewisse Beklemmung, die jenem nicht entge-
    hen konnte.
    »Sie sind also die Frau Hansen aus Dal?«
    »Ja, natürlich.

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