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Ein Lotterielos. Nr. 9672

Ein Lotterielos. Nr. 9672

Titel: Ein Lotterielos. Nr. 9672 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Haben Sie mir vielleicht etwas besonderes
    mitzuteilen?«
    »Keineswegs, ich wollte zunächst nur Ihre Bekanntschaft
    machen. Ich bin ja Ihr Gast. Wollen Sie nun dafür sorgen,
    daß mir das Essen so bald wie möglich aufgetragen wird.«
    »Ihr Mittagsmahl ist bereit«, erklärte Hulda. »Wollen Sie
    sich gefälligst nach dem Speisezimmer bemühen . . .«
    »Jawohl.«
    Damit ging der Reisende schon nach der ihm von dem
    jungen Mädchen gezeigten Tür zu. Eine Minute nachher
    saß er in der Nähe des Fensters vor einem sauber gedeckten
    Tischchen.
    Das Mittagsmahl war sicherlich sehr gut. Auch der ver-
    wöhnteste Tourist hätte daran gewiß nichts auszusetzen ge-
    funden. Diese wenig geduldige Persönlichkeit ließ es jedoch
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    an Zeichen und Worten für seine Unzufriedenheit nicht
    fehlen – besonders nicht an Zeichen, denn er schien nicht
    allzu gesprächiger Natur zu sein. Man konnte sich wohl fra-
    gen, ob daran, daß er so anspruchsvoll war, sein schlechter
    Magen oder seine üble Laune die Schuld trug. Die Kirsch-
    und Johannisbeersuppe schien ihm wenig zu munden, ob-
    gleich sie gewiß vorzüglich zubereitet war. Er berührte we-
    der die Lachsschnitten noch den marinierten Hering. Der
    zarte, rohe Schinken, ein appetitliches halbes Hühnchen
    und verschiedene trefflich zugerichtete Gemüse gefielen
    ihm ebensowenig. Selbst mit der Flasche Saint-Julien und
    der halben Flasche Champagner schien er unzufrieden zu
    sein, obwohl diese erwiesenermaßen den besten Kellereien
    Frankreichs entstammten.
    Die natürliche Folge hiervon war, daß der Reisende, als
    er vom Tisch aufstand, nicht ein einziges »Tak for mad«, für
    seine Wirtin hatte.
    Nach der Mahlzeit zündete sich der Murrkopf eine Pfeife
    an, verließ die Stube und ging nach dem Ufer des Maan spa-
    zieren.
    Am Fluß angelangt, drehte er sich um; seine Blicke haf-
    teten unablässig auf dem Gasthaus. Es schien, als studierte
    er es buchstäblich nach Plan und Bauart, nach Größe und
    Höhe, als wollte er seinen Wert möglichst sicher abschät-
    zen. Er zählte die Türen und Fenster des Hauses, und als
    er wieder vor dessen waagrecht gelagerten Grundbalken
    stand, machte er in diese kleine Einschnitte mit der Spitze
    seines Dolknif, um die Art des Holzes zu erkennen und zu
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    sehen, wie es sich erhalten habe. Wollte er wirklich klären,
    wie viel das Gasthaus von Frau Hansen wert war? Beabsich-
    tigte er es vielleicht gar zu erwerben, obwohl es doch nicht
    zum Verkauf stand? Sein Benehmen erschien mindestens
    aufallend. Nach dem Haus musterte er ebenso ein dazu ge-
    höriges eingehegtes Stück Land, dessen Bäume und Sträu-
    cher er zählte. Endlich maß er zwei Seiten des Hauses in
    gleichmäßigen Schritten ab, und die Bewegung seines Blei-
    stiftes auf einer Seite des in der Hand gehaltenen Notiz-
    buchs ließ vermuten, daß er die beiden erhaltenen Zahlen
    multiplizierte.
    Immer aber schüttelte er dabei den Kopf und brummte,
    die Augenbrauen runzelnd, wie mißbilligend vor sich hin.
    Bei seinem Hin- und Hergehen beobachteten ihn Frau
    Hansen und ihre Tochter durch ein Fenster der großen
    Stube, verwundert, mit welch sonderbarer Persönlichkeit
    sie zu tun hätten, und was wohl Ziel und Zweck der Reise
    dieses Tollhäuslers sein könne. Es war beklagenswert, daß
    all das sich während der Abwesenheit Joels zutrug, da der
    Reisende mindestens noch die nächste Nacht im Gasthaus
    zubringen sollte.
    »Wenn das nun ein geisteskranker Narr wäre!« bemerkte
    Hulda.
    »Ein Narr? Nein«, erwiderte Frau Hansen, »aber es ist
    ein sonderbarer Mann.«
    »Es ist immer ärgerlich, nicht zu wissen, wen man in sei-
    nem Haus aufnimmt«, sagte das junge Mädchen.
    »Hulda«, antwortete ihre Mutter, »denk daran, bevor der
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    Reisende wieder eintritt, ihm das Fremdenbuch ins Zim-
    mer zu legen.«
    »Ja, gewiß, Mutter.«
    »Vielleicht läßt er sich dann herbei, seinen Namen ein-
    zuschreiben.«
    Gegen 8 Uhr, es wurde schon etwas dunkel, begann ein
    feiner Regen niederzurieseln, der das Tal bis zur halben
    Bergeshöhe mit feuchtem Dunst erfüllte. Zum Spazieren-
    gehen war das Wetter nicht gerade günstig. Auch der neue
    Gast von Frau Hansen kam, nachdem er den schmalen Fuß-
    weg bis zum Sägewerk hinauf verfolgt, nach dem Gasthaus
    zurück, wo er sich ein Gläschen Branntwein bestellte. Ohne
    ein weiteres Wort zu äußern und ohne jemand »Gute Nacht«
    zu wünschen, ergriff er dann einen Holzleuchter mit bren-
    nender Kerze, zog

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