Ein Lotterielos. Nr. 9672
Mittagbrot berei-
tete Frühstück schien ihm ebenfalls nicht zu passen; den-
noch aß er nicht wenig und trank tüchtig dazu; seine Auf-
merksamkeit richtete sich aber offenbar auf den Wert des
Silberzeugs – ein Luxus, auf den die norwegischen Land-
leute viel halten – auf einige Löffel und Gabeln, die vom Va-
ter auf den Sohn forterben und die man sorgfältig mit den
Kleinodien der Familie aufbewahrte.
Während dieser Zeit traf der Skydskarl seine Vorberei-
tungen zur Rückreise. Um 11 Uhr warteten Wagen und
Pferde vor der Tür des Gasthauses.
Das Wetter war noch immer nicht einladend, der Him-
mel grau und stürmisch; manchmal schlug der Regen wie
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Hagel an die Fensterscheiben. Mit seinem Doppelpelzman-
tel, der auch den Kopf schützte, kümmerte sich der Rei-
sende darum blutwenig.
Nach vollendetem Frühstück genoß er noch ein Glas
Branntwein, zündete die Pfeife an und zog den Mantel über;
dann kam er nach der Gaststube zurück und verlangte seine
Rechnung.
»Ich werde sie sogleich aufsetzen«, sagte Hulda, die
schon vor einem kleinen Schreibtisch Platz nahm.
»Beeilen Sie sich!« drängte der Reisende. »Doch da fällt
mir ein, geben Sie mir doch das Fremdenbuch, damit ich
mich eintrage.«
Frau Hansen stand auf, das genannte Buch zu holen, und
legte es dann auf den großen Tisch nieder.
Der Reisende ergriff eine Feder und sah zum ersten Mal
Frau Hansen durch die Brille scharf an. Nachher schrieb er
mit sehr großen Buchstaben seinen Namen in das Buch und
klappte es sogleich wieder zu.
Da brachte ihm Hulda die Rechnung.
Er nahm sie entgegen, prüfte die einzelnen Posten und
zählte sie offenbar wie murrend noch einmal zusammen.
»Hm«, sagte er, »das ist aber viel Geld! 7,50 Mark für
1 Nacht und 2 Mahlzeiten?«
»Es bezieht sich auch auf den Skydskarl und das Pferd.«
»Macht nichts, ich finde es teuer; so freilich wundert
es mich nicht, daß Sie in diesem Haus gute Geschäfte ma-
chen!«
»Sie sind gar nichts schuldig«, ließ sich da Frau Hansen
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mit so gedämpfter Stimme vernehmen, daß man sie fast gar
nicht hörte.
Sie hatte eben das Buch aufgeschlagen und den einge-
schriebenen Namen gelesen. Schnell ergriff sie darauf die
Rechnung, zerriß diese und sagte noch einmal:
»Sie sind uns gar nichts schuldig!«
»Das dächte ich auch!« antwortete der Reisende.
Und ohne Lebewohl zu sagen, so wenig, wie er bei der
Ankunft guten Tag gesagt, bestieg er den Schußkarren,
während der Bursche hinter ihm auf den Tritt sprang. Ei-
nige Augenblicke später war er schon hinter einer Biegung
der Straße verschwunden.
Als Hulda das Buch geöffnet hatte, fand sie nur den Na-
men:
»Sandgoist aus Drammen.«
VII.
Es war am Nachmittag des folgenden Tages, wo Joel nach
Dal zurückkehren wollte, nachdem er den Touristen, dem
er als Führer gedient, nach der Straße, die durch Hardanger
geht, gebracht hatte.
Hulda, die wußte, daß ihr Bruder über den Gusta längs
des linken Ufers des Maan zurückkommen würde, war ihn
zu erwarten nach der Stelle gegangen, wo man gewöhn-
lich über den ungestümen Wasserlauf setzte. Dort ließ sie
sich auf der kleinen Landungsbrücke nieder, die zum Anle-
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gen der Fähre errichtet ist, und überließ sich ihren trüben
Gedanken. Zu der lebhaften Unruhe, die ihr das Ausblei-
ben der ›Viken‹ erweckte, gesellte sich jetzt noch eine an-
dere große Angst. Diese Angst entsprang dem Besuch jenes
Sandgoist und dem Benehmen ihrer Mutter gegen ihn. Wa-
rum hatte diese, sobald sie seinen Namen erfuhr, die Rech-
nung zerrissen und sich geweigert, anzunehmen, was ihr
mit Recht zukam? Hier lag ein Geheimnis und gewiß ein
sehr ernstes zugrunde.
Durch das Eintreffen Joels wurde Hulda endlich aus ih-
rem Nachsinnen wachgerufen; sie gewahrte ihn schon, als
er den Bergabhang herunterkam. Bald erschien er inmit-
ten einer beschränkten Lichtung unter niedergeschlagenen
oder stellenweise abgebrannten Bäumen; bald verschwand
er wieder unter dem dichten Gezweig von Fichten, Bir-
ken und Buchen, mit denen die Bergwand bekleidet ist.
Endlich erreichte er das jenseitige Ufer und sprang in die
kleine Fähre. Mit wenigen kräftigen Ruderschlägen hatte er
den Wirbel des rauschenden Wasserlaufs durchschnitten,
sprang auf das Ufer hinauf und befand sich neben seiner
Schwester.
»Ist Ole gekommen?« fragte er.
An Ole dachte auch er zuerst. Seine Frage blieb jedoch
ohne Antwort.
»Kein
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