Ein Lotterielos. Nr. 9672
gebotene Preis des Lo-
ses 1000, 1500, dann 2000 Mark überschritten habe. Ein
Engländer aus Manchester war bis auf 200 Pfund Sterling
oder 2500 Mark gegangen. Ein Amerikaner aus Boston
überbot diesen noch und erklärte sich bereit, die Nummer
9672 von der Lotterie der Schulen Christianias für 1000
Dollar, das heißt für 5000 Mark zu erwerben.
Es versteht sich von selbst, daß sich Hulda um das, was
gewisse Leute in dieser Angelegenheit in Feuer und Flam-
men brachte, nicht im mindesten kümmerte. Von den das
Los betreffenden, in Dal angelangten Briefen wollte sie
überhaupt keine Kenntnis nehmen. Der Professor vertrat
jedoch die Meinung, man dürfe sie über die eingelaufenen
Gebote wenigstens nicht ganz im unklaren lassen, da Ole
Kamp ihr das Besitzrecht an der Nummer 9672 ja gleichsam
testamentarisch abgetreten hatte.
Hulda wies alle Gebote zurück – das Los war ja gleich-
zeitig der letzte Brief ihres Verlobten.
Und man glaube ja nicht, daß das arme Kind daran etwa
mit dem Hintergedanken hing, es könne ihr dadurch viel-
leicht einer der lockenden Lotteriegewinne zufallen. Nein,
sie sah in ihm nur das letzte Lebewohl eines Schiffbrüchi-
gen, eine Reliquie, die sie sorgfältig aufbewahren wollte. Ja,
sie dachte gar nicht an die Aussicht eines ihr zufallenden
Vermögens, das Ole nicht hätte mit ihr teilen können. Was
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kann es Rührenderes, Zarteres geben, als diesen frommen
Kultus eines Andenkens!
Wenn Sylvius Hog und Joel die ihr gemachten Angebote
Hulda mitteilten, hatten sie dabei gewiß keineswegs die Ab-
sicht, diese zu beeinflussen. Sie sollte vielmehr nur der Ein-
gebung ihres Herzens folgen. Wir wissen ja schon, wie ihr
Herz entschieden hatte.
Joel stimmte seiner Schwester übrigens vollkommen zu.
Das Lotterielos Ole Kamps sollte niemandem und um kei-
nen Preis abgetreten werden.
Sylvius Hog ging noch weiter, als dem bloß zuzustim-
men; er beglückwünschte sie, diesem ganzen Handel kein
Ohr zu verleihen. Sollte man dieses Los an den einen ver-
kauft, an den nächsten weiterverschachert und so in eine
Art Papiergeld verwandelt sehen bis zu dem Augenblick, wo
die Ziehung der Lotterie daraus höchstwahrscheinlich ein
wertloses Stückchen Makulatur machte?
Ja, Sylvius Hog ging immer noch weiter. Sollte der Zu-
fall auch ihn abergläubisch gemacht haben? Das wohl nicht,
doch wäre Ole Kamp anwesend gewesen, so würde er zu
ihm wahrscheinlich gesagt haben:
»Behaltet euer Los, junger Freund, behaltet es selbst!
Man hat es zuerst aus dem Schiffbruch gerettet und euch
selbst nachher. Nun, es wird sich ja zeigen . . . man weiß
manchmal nicht . . . nein . . . man kann ja nicht wissen . . .!«
Und wenn Sylvius Hog, der Professor der Rechtswissen-
schaften und Abgeordnete des Storthing so dachte, darf sich
dann jemand über das Vorurteil der großen Menge wun-
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dern? Nein, es erschien dann ja so natürlich, daß diese
Nummer 9672 eine starke Preissteigerung erfuhr.
Im Haus von Frau Hansen gab es also niemand, der
gegen das so achtungswerte Gefühl, das die Handlungs-
weise des jungen Mädchens bestimmte, Einspruch erhoben
hätte – niemand, außer vielleicht ihre Mutter.
In der Tat hörte man Frau Hansen wiederholt, und be-
sonders in Abwesenheit Huldas, sich nicht undeutlich be-
klagen, was Joel recht schweren Kummer verursachte. Seine
Mutter – so glaubte er wenigstens – werde es nicht immer
bei bloßen Klagen bewenden lassen, sondern würde sich
wohl insgeheim mit Hulda wegen der dieser gemachten An-
gebote ins Einvernehmen zu setzen suchen.
»5000 Mark für dieses Los!« wiederholte sie öfters. »Es
bietet einer 5000 Mark!«
Von dem Zartgefühl, das ihre Tochter alle solche Ge-
bote ablehnen ließ, wollte Frau Hansen offenbar nichts wis-
sen, sie dachte nur an die in ihren Verhältnissen allerdings
nicht unbedeutende Summe von 5000 Mark. Ein einziges
Wort von Hulda hätte sie in das Haus gezaubert. Sie selbst
glaubte, obwohl sie Vollblut-Norwegerin war, nicht im min-
desten an den übernatürlichen Wert jenes Loses. Und si-
chere 5000 Mark hinzuopfern für ein Millionstel Wahr-
scheinlichkeit, 100.000 zu gewinnen, das konnte ihr kühler,
nüchterner Kopf nun einmal nicht fassen.
Es liegt ja auf der Hand, daß das Gewisse für das Unge-
wisse hinzugeben – von jedem Aberglauben einmal abgese-
hen – unter so völlig unsicheren Verhältnissen nicht eben
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ein Akt der
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