Ein Lotterielos. Nr. 9672
jetzt auch noch sagen
können? Welcher Zweifel konnte jetzt noch aufkommen an
dem Unfall der ›Viken‹ und an dem traurigen Tod aller der-
jenigen, die sie nach Norwegen zurücktragen sollte?
Während Sylvius Hog den an ihn gerichteten Brief las,
hatte Hulda sich noch zu bemeistern und gegen die sie be-
klemmende tödliche Angst anzukämpfen vermocht. Nach
den letzten Worten Oles war sie aber Joel in die Arme ge-
sunken. Sie mußte nach ihrem Zimmer gebracht werden,
wo ihre Mutter ihr die erste Pflege angedeihen ließ. Wieder
zu sich gekommen, wünschte sie allein zu bleiben, und jetzt
betete sie, vor ihrem Bett kniend, für Oles Seele.
Frau Hansen war nach der großen Stube zurückgekehrt.
Erst tat sie zwar einen Schritt auf den Professor zu, als ob sie
das Wort an diesen richten wolle, dann wandte sie sich aber
nach der Treppe und verschwand.
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Auch Joel war, nachdem er seiner Schwester die nö-
tige Unterstützung geleistet hatte, hinausgegangen. Er er-
stickte in diesem Haus, das allem Unglück offen zu stehen
schien. Er brauchte frische, freie Luft, die Luft des entfessel-
ten Sturms, und einen guten Teil der Nacht irrte er an den
Ufern des Maan umher.
Sylvius Hog war jetzt allein. Im ersten Augenblick von
diesem Donnerschlag wie vernichtet, gelang es ihm doch
bald, seine gewohnte Energie wiederzugewinnen. Nachdem
er zwei- oder dreimal die große Stube durchschritten hatte,
horchte er, ob nicht ein Ruf des jungen Mädchens bis zu
ihm dringen würde. Da er nichts hörte, setzte er sich an
den Tisch und überließ sich seinen ihn wild bestürmenden
Gedanken.
»Hulda«, sagte er für sich, »Hulda sollte ihren Verlobten
nicht wiedersehen! Ein solches Unglück wäre möglich? . . .
Nein, gegen einen solchen Gedanken lehnt sich jede Fiber
meines Inneren auf. Die ›Viken‹ ist untergegangen . . . zuge-
geben; ist das aber auch die Gewißheit, daß Ole den Tod ge-
funden hat? Ich kann es nicht glauben! Bei allen Schiffbrü-
chen kann nur eine weit längere Zeit lehren, daß niemand
den Unfall überlebt hat. Ja, ich zweifle noch, ich will noch
zweifeln an dem Schlimmsten, und sollte weder Hulda, Joel,
noch sonst jemand meine Zweifel teilen können. Weil die
›Viken‹ vom Meer verschlungen wurde, erklärt es sich ja,
daß kein Wrackstück von ihr auf dem Meer schwimmen
mag; nein, nein . . . nichts als jene Flasche, der der arme Ole
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seine letzten Gedanken und mit diesen das einzige Wert-
stück, das er auf der Welt besaß, anvertraute.«
Sylvius Hog hielt das Schriftstück in der Hand, er starrte
es an, betastete es, drehte es wiederholt um, als suchte er
noch mehr herauszulesen aus diesem Papierstückchen, auf
das der arme junge Mann sein ganzes Glück der Zukunft
gebaut hatte.
Der Professor wollte es jedoch möglichst genau prüfen;
er erhob sich und lauschte, ob das junge Mädchen nach ih-
rer Mutter oder ihrem Bruder riefe, und begab sich dann
nach seinem Zimmer.
Das Los war ein Lotterielos der Schulen von Christiania,
welche Lotterie gerade damals in Norwegen besonders be-
liebt war und deren großes Los 100.000 norwegische Mark
(= etwa 75.000 Reichsmark) betrug. Der Gesamtwert der
übrigen Gewinne belief sich nur auf 90.000 norwegische
Mark, die Anzahl der wirklich abgesetzten Lose aber auf
nicht weniger als 1 Million Stück!
Ole Kamps Lotterielos hatte die Nummer 9672. Doch ob
diese Nummer gut oder schlecht war, ob der junge Seemann
irgendeinen geheimen Grund hatte, der ihm zu ihr beson-
deres Vertrauen einflößte, jedenfalls würde er zur Stunde
der Ziehung genannter Lotterie, die am 15. Juli, das heißt
nach Verlauf von 18 Tagen erfolgen sollte, nicht anwesend
sein. Seiner letzten Bitte nach sollte Hulda dafür an seine
Stelle treten, um auf die dort gebräuchlichen Anfragen nach
dem Inhaber einer mit Gewinn gezogenen Nummer zu ant-
worten.
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Bei dem Schein einer Kerze in niedrigem Leuchter las
Sylvius Hog die auf der Rückseite des Loses geschriebenen
Zeilen immer und immer wieder mit größter Aufmerksam-
keit, als müsse er noch einen verborgenen Sinn darin ent-
decken.
Die wenigen Zeilen waren mit Tinte geschrieben. Man
sah deutlich, daß Oles Hand dabei nicht gezittert hatte, ein
Beweis, daß der junge Steuermann der ›Viken‹ auch im Mo-
ment des Schiffbruchs seine Kaltblütigkeit völlig bewahrt
haben mußte. Er befand sich also gewiß in einem geisti-
gen Zustand, der ihm
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