Ein Lotterielos. Nr. 9672
der Num-
mer 9672 sich jetzt im Besitz des Herrn Sandgoist in Dram-
men befinde, der es zum Verkauf stelle und dem Meistbie-
tenden überlassen wolle; daß Herr Sandgoist Besitzer dieses
Lotterieloses sei, komme daher, daß er es um einen hohen
Preis von Hulda Hansen in Dal erstanden habe.
Man begreift, daß solche Anzeigen das junge Mädchen
in der öffentlichen Achtung herabsetzen mußten. Wie? Jene
Hulda hatte sich, bestochen durch einen hohen Preis, verlei-
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ten lassen, das Los des Schiffbrüchigen, das Los Ole Kamps,
ihres Verlobten, zu verkaufen! Sie hatte – Geld geschlagen
aus diesem letzten Andenken!
Eine bald darauf im Morgenblatt erscheinende Notiz be-
lehrte dessen Leser jedoch rechtzeitig über den Hergang der
Sache. Man erfuhr dadurch die niedrige Handlungsweise je-
nes Sandgoist und die eigentliche Ursache, warum das Los
sich jetzt in seinen Händen befinde. Damit verfiel aber der
Wucherer von Drammen der allgemeinen Verachtung, die-
ser herzlose Gläubiger, der sich nicht gescheut hatte, die un-
glückliche Zwangslage der Familie Hansen zu seinem Vor-
teil auszubeuten. Das hatte aber die sofort zutage tretende
Folge, daß – wie nach allgemeiner Verabredung – die An-
gebote, die auf das Los gemacht wurden, solange Hulda es
noch besaß, gänzlich ausblieben, seit es sich in den Händen
des neuen Eigentümers befand. Es schien, als ob jenes Los
den ihm früher beigelegten außerordentlichen Wert gänz-
lich verloren habe, nachdem dieser Sandgoist es durch seine
Berührung besudelt hatte. Sandgoist hatte mit seiner Spe-
kulation also ein sehr verunglücktes Geschäft gemacht, und
die berühmte Nummer drohte ihm auf eigene Rechnung
liegenbleiben zu sollen.
Es versteht sich von selbst, daß weder Hulda noch Joel
von den umlaufenden Gerüchten etwas erfuhren. Und das
war ein Glück zu nennen. Wie peinlich wäre es für sie ge-
wesen, sich in die Angelegenheit eingemischt zu wissen, die
unter den Händen des Wucherers zu einem feilen Geschäft
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herabgedrückt worden war. Am 12. Juli gegen Abend traf
wieder ein an den Professor gerichteter Brief ein.
Dieses vom Seeamt ausgegangene Schreiben enthielt
noch ein anderes, das aus Christiansand, einem kleinen
Hafen nah dem Eingang zum Meerbusen von Christiania,
eingelaufen war. Ohne Zweifel erfuhr Sylvius Hog dadurch
auch nichts besonders neues, denn er zerknitterte es in sei-
ner Tasche und erwähnte es weder gegen Joel noch gegen
dessen Schwester.
Nur als er sich, ihnen gute Nacht wünschend, schon nach
seinem Zimmer zurückziehen wollte, sagte er zu ihnen:
»Ihr wißt wohl, liebe Kinder, daß die Ziehung der Lotte-
rie binnen 3 Tagen vor sich gehen wird. Habt ihr nicht die
Absicht, ihr beizuwohnen?«
»Wozu sollte das nützen, Herr Sylvius?« fragte Hulda.
»Nun«, meinte der Professor. »Ole hat doch gewünscht,
daß seine Verlobte dabei anwesend sei. In den letzten, von
ihm geschriebenen Zeilen hat er ihr das noch anempfohlen,
und ich denke, man müsse den letzten Willen Oles achten
und ihm nachkommen.«
»Aber Hulda besitzt ja das Los nicht mehr«, warf Joel
ein, »und wer weiß, in wessen Händen es sich jetzt befin-
det.«
»Das ändert an der Sache nichts«, entgegnete Sylvius
Hog. »Ich lade euch also beide ein, mich nach Christiania
zu begleiten.«
»Sie wünschten es also, Herr Sylvius?« erwiderte das
junge Mädchen.
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»Ich nicht allein, liebe Hulda. Ole wünscht es, und dem
müßt ihr wohl gehorchen.«
»Liebe Schwester, Herr Sylvius hat ganz recht«, erklärte
jetzt Joel; »ja, es ist sogar unsere Pflicht. – Wann denken Sie
abzufahren, Herr Sylvius?«
»Morgen mit Tagesanbruch, und der heilige Olaf sei un-
ser Schirm und Hort!«
XVI.
Am folgenden Morgen trug der Schußwagen des Werkfüh-
rers Lengling Sylvius Hog und Hulda davon, die beide in
dem kleinen, bemalten Sitzkasten Platz genommen hatten.
Joel konnte, wie wir wissen, dann nicht mehr unterkom-
men. Der wackere junge Mann ging also zu Fuß neben dem
Pferd her, das freudig den Kopf schüttelte.
Die 14 Kilometer zwischen Dal und Moel waren für den
rüstigen Wanderer ja eine Kleinigkeit.
Der Schußkarren folgte dem prächtigen Vestfjorddal,
immer längs des linken Maan-Ufers – jenem schmalen,
schattenfrischen Tal, das durch Tausende von allen An-
höhen herabhüpfende Kaskaden bewässert wird. Bei jeder
Windung dieses Schlangenwegs sahen sie sich um und ver-
loren
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