Ein Lottogewinn und 8 Millionen andere Probleme
können, wo Raf die letzten Stunden verbrachthatte, aber ich hatte keine Lust, meinen Eltern zu erklären, woher ich das so genau wusste. Ich musste erst mal für mich selber klarkriegen, was im Hotel passiert war – und das konnte dauern.
Außerdem war ich anders als Mum keineswegs davon überzeugt, dass Natasha entführt worden war. Bestimmt hatte mein liebes Schwesterlein nur irgendwas inszeniert, damit sie endlich mal wieder im Mittelpunkt stand. Schließlich drehte sich in letzter Zeit alles um mich. Aber auch das sagte ich nicht, denn ich hatte den Verdacht, dass diese Theorie bei Mum nicht gut ankommen würde.
»Der Junge arbeitet abends im Internetcafé auf der Hauptstraße«, sagte Dad. »Vielleicht ist er noch da. Ich glaube, das Café hat sehr lange offen.«
»Es ist halb vier Uhr morgens«, sagte Mum. »Ab nächster Woche will der arme Kerl jeden Tag früh um fünf in der Bäckerei antreten. Was ist das für ein Leben? Immer nur schuften, schuften, schuften. Ich glaube nicht, dass er jetzt noch im Café ist. Er muss schließlich auch mal schlafen.«
Ich staunte, dass sie sich offenbar Sorgen um Raf machte. Sie hätte sich bestimmt gefreut, wenn sie gewusst hätte, dass ich ihn tatkräftig von seinem elenden Leben als unterbezahlter Lohnsklave ablenkte. Im Grunde war ich so was wie eine Sozialarbeiterin!
»Es ist Samstag«, sagte Dad. »Vielleicht macht er heute Spätschicht. Er hat mir erzählt, dass am Wochenende dort Hochbetrieb herrscht. Übrigens weiß ich auch, wo er wohnt. Er hat mir seine Adresse aufgeschrieben: Melbourne Avenue Nummer fünf.«
»Melbourne Avenue? Warum muss er dann in einer Bäckerei arbeiten?«, fragte der Polizist verwundert. »In der Melbourne Avenue wohnen doch nur Millionäre.«
Ich wechselte rasch das Thema. »Was hat denn die Gesangslehrerin gesagt?«
»Dass Natasha wie immer war und wie ein Engel gesungen hat«, antwortete Mum. »Die Lehrerin hat ihr gesagt, sie sei so weit, dass sie sich für ein Casting anmelden könne. Natasha war bestimmt ganz aus dem Häuschen vor Freude.«
Ich überlegte kurz, ob ich von Marcus’ Schicksal berichten sollte, entschied mich dann aber dagegen.
Der Polizist legte sein Funkgerät weg. »Ich habe einen Kollegen ins Internetcafé geschickt. Wenn der Junge da ist, soll er mit ihm reden. Vielleicht weiß er ja etwas oder Ihre Tochter ist sogar dort. Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen. Vierzehn ist ein spezielles Alter. Oft bekommen die Eltern gar nicht richtig mit, dass ihre Kinder allmählich erwachsen werden.«
»Du kennst Raf doch auch, Lia«, sagte Dad. »Hat Natasha je über ihn gesprochen?«
»Nie!«, sagte ich entschieden.
»Fällt Ihnen sonst noch jemand ein?«, fragte der Polizist. »Jemand, der sauer auf Ihre Tochter ist? Oder der etwas gegen Ihre Familie hat? Ihre große Tochter hat ja im Lotto gewonnen. Gab’s da irgendwelche Probleme?«
»Bestimmt spekuliert der Entführer auf ein hohes Lösegeld«, schluchzte Mum. »Wir zahlen natürlich, nicht wahr, Lia? Hoffentlich tun sie ihr nichts an – verstümmeln sie oder so was!«
Ich hielt es nicht länger aus, Mum in diesem Zustand zu sehen. Ich nahm sie in den Arm.
»Ich zahle jede Summe, egal wie hoch«, versprach ich. »Und wir bekommen Nat gesund und munter wieder, ganz bestimmt.«
»Donna …«, sagte Dad. »Donna hat etwas gegen uns. Aber nein … die Frau hat zwar nicht alle Tassen im Schrank, aber sie würde niemals einem Kind Gewalt antun.«
Der Polizist horchte auf. »Wer ist Donna?«
Dad erklärte es ihm gerade, da klingelte das Festnetztelefon. Wir zuckten alle vier zusammen.
»Das ist Natasha!«, rief Mum aus, aber ich kam ihr zuvor.
»Hallo?«, fragte ich. »Nat?«
Erst hörte ich nur ein Geräusch, als sei dem Anrufer sein Telefon heruntergefallen, dann antwortete eine dumpfe Stimme: »Wenn du deine Schwester noch mal wiedersehen willst, musst du zahlen, kleine Schlampe.«
26
Manche Leute hassen dich, weil du
mehr besitzt als sie. Nimm's nicht persönlich.
Danach wurde es ernst. Ein polizeilicher Ermittler traf ein und befragte mich über den Anruf. Die Polizei wollte versuchen festzustellen, von wo angerufen worden war.
Die Beamten durchsuchten unser Zimmer und fanden Nats quietschrosa Tagebuch. Sie baten Mum und mich, es zu lesen und auf irgendwelche Hinweise zu achten, die uns vielleicht bis jetzt entgangen waren. Dann befragten sie Dad im Wohnzimmer. Mum und ich setzten uns in die Küche und heulten beide, als wir die mit
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