Ein Macho auf Abwegen
nicht erst seit heute, Herr Stevens! Warum haben Sie mir nicht früher
etwas gesagt?“
„Frau Klasen, ich habe das gesamte Wochenende in dem
verfluchten Studio gehockt, um diese Produktion fertigzustellen. Ich dachte,
ich würde es schaffen – habe ich aber nicht! Das weiß ich seit gestern, und
gestern war bekanntlich Sonntag!“
„Sie hätten sich rechtzeitig bei mir melden können!“, nörgelte
Christina vorwurfsvoll.
„Das habe ich ja versucht! Sie sind aber den ganzen Tag
nicht ans Telefon gegangen.“
„Ja, natürlich war ich nicht zu erreichen! Ich war ja auch
nicht zu Hause!“, patzte Christina recht stümperhaft. „Und? Haben Sie mir die Nummer
von Ihrem geheimen Arbeitsplatz gegeben, damit ich Sie im Notfall dort auch
einmal anrufen kann?“, fragte Stevens unwirsch. „Wann schaffen Sie sich endlich
mal ein Mobiltelefon an? Oder soll ich das für Sie besorgen?“
„Damit Sie mich ständig in meiner Freizeit anrufen können?“
Sie hätte am liebsten noch ein schnippisches „Pah, da wüsste ich aber ’was
von!“ hinten angehängt, schluckte es dann doch lieber hinunter. Stevens setzte
sich aufrecht hin und redete ganz leise, aber mit gefährlich gereiztem Unterton.
„Frau Klasen! Eben sagten Sie mir noch, dass ich Sie ja auch hätte früher
benachrichtigen können. Im nächsten Atemzug regen Sie sich auf, weil ich Ihnen
ein Handy besorgen möchte, damit ich gerade das in Zukunft tun kann.“
Er hatte Recht. Sie zickte, aus Mangel an durchschlagenden
Argumenten, dämlich herum. Trotzdem hatte sie nicht im Geringsten vor, heute
Abend nicht ins Frauenhaus zu gehen. „Sie haben aber meine Privatnummer. Sie
hätten sich spätestens heute morgen bei mir melden können!“
„Und dann hätten Sie ihren Dienst locker mit jemandem
anderen tauschen können? Und jetzt um ...“ Er schaute auf seine goldene Rolex.
„... um exakt 8.13 Uhr ist Ihnen das nicht mehr möglich? Wie soll ich das denn
bitteschön verstehen?“ Er reichte ihr den Telefonhörer. „Ich denke, es ist früh
genug, um abzusagen. Bitte.“ Sie machte jedoch keinerlei Anstalten den Hörer
entgegenzunehmen. „Frau Klasen! Rufen Sie jetzt bitte an!“ Sie nahm ihm den
Hörer ab, jedoch nur um ihn prompt wieder einzuhängen.
„Frau Klasen! Wo ist das Problem?!“ Er war nun abenteuerlich
laut geworden. An und für sich hatte er eine Engelsgeduld, aber heute war
anscheinend nicht sein bester Tag. Ja, wo lag eigentlich ihr Problem? Das
fragte sich Christina selber schon. Sie hatte enorme Schwierigkeiten damit,
wenn er meinte, so mir nichts dir nichts, über sie bestimmen zu können. Sie war
doch nicht seine Leibeigene! Er konnte sie nicht einfach so übergehen und über
sie verfügen! Inge Fink hatte ihr immer gesagt, dass ihre Arbeit vorginge, doch
was sollte Nicole von ihr denken, wenn sie heute nicht mit dem versprochenen
Autogramm käme? – Nein! Nicole vertraute ihr inzwischen voll und ganz, und sie
wollte die Kleine auf keinen Fall enttäuschen. Hier ging es ums Prinzip!
„Das geht aber nicht, Herr Stevens! Frau Fink kann nicht so
einfach einen Ersatz für mich bekommen.“
Seine Geduld war jetzt restlos am Ende der Fahnenstange
angelangt. „Und ich? Ich kann wohl ganz schnell eine Vertretung für Sie
bekommen, oder was?“ Natürlich musste er sie nicht zwingend dabeihaben. Er
wollte sie aber unbedingt bei sich haben! Sie war schließlich seine
Angestellte, und er nahm sich ganz einfach das Recht heraus, zu entscheiden wo
sie ihre Arbeit machte.
Seine Augen waren jetzt nur noch schmale Schlitze. Das tiefe
Blau war vollständig zu einem stahlharten Grau mutiert. „Frau Klasen, ich
möchte mit Ihnen nicht weiter diskutieren. Die Zeit ist sowieso schon knapp
genug, und ich habe einfach keinen Bock mehr auf so einen Kinderkram am frühen
Morgen! Wir fahren in fünf Minuten los, und zwar gemeinsam. Ob Sie Ihren Dienst
verlegen oder nicht, interessiert mich nicht die Bohne!“
So zähnefletschend hatte Christina ihn noch nie erlebt. Ein
Kampfhund, gerade auf dem Sprung seiner Beute die Kehle durchzubeißen, hätte
nicht bedrohlicher aussehen können. Sie schluckte einmal kräftig. Sie hatte
verstanden. Er war gerade dabei, ihr ein für alle Mal, klarzumachen, wer von
beiden der Boss war. Bevor er sich in einen blutrünstigen Werwolf verwandeln,
und ehe er ihr ins Gesicht springen konnte, waren ihre diplomatischen
Fähigkeiten angesagt. Sie brauchte einen konstruktiven Vorschlag, einen
Kompromiss, wobei keiner sein
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