Ein Macho auf Abwegen
hatte. Sie hatte sich nicht getraut nachzufragen, ob er
sauer auf sie war. War sie wirklich zu weit gegangen mit ihrem Rüffel? Was ging
sie im Grunde sein Privatleben an? Sie wollte doch auch nicht, dass er sich in
ihres einmischte! Eigentlich hätte sie ihm ja noch viel mehr sagen wollen, doch
Frau Meckenstock hatte sie vollkommen aus dem Konzept gebracht.
Christina hatte sich gestern Abend zu Hause schon genug den
Kopf über sich selbst zerbrochen. Warum hatte sie ihm ausgerechnet diese
Ludergeschichten vorgeworfen? Sie wollte ihm in Wirklichkeit doch nur sagen,
dass sie genau wusste, dass er vor Publikum eben nur eine Rolle spielte, wie
ein Filmschauspieler bei Dreharbeiten. Und sie hatte bloß wissen wollen, warum
er so etwas tut! Warum stellte er sich, ja wie sollte man das nur ausdrücken, –
dumm? Ja, er stellte sich richtig dumm, im Vergleich zu seinen eigentlichen
Fähigkeiten! Er führte die Nation an der Nase herum! Sie hatte bisher noch nie
einen Menschen kennen gelernt, der sich absichtlich dümmer machte als er war.
Und das auch noch in der Öffentlichkeit! Stevens hatte zu allem eine Meinung.
Er konnte überall mitreden, egal ob in wirtschaftlichen oder in politischen
Angelegenheiten, ob es um Kunst oder Geschichte ging. Er hatte sehr gute
Manieren, zeigte sich aber lieber flegelhaft, wenn eine Kamera auf ihn
gerichtet war. Er konnte sich sehr gewählt ausdrücken, klopfte aber in
Interviews lieber seine „granatenmäßigen“ Sprüche. Stevens war extrem sensibel
und introvertiert. Einer, der sich ein schönes Nest gebaut hatte, um es sich
darin gemütlich zu machen, der stundenlang auf seinem Flügel klassische
Melodien spielte. Ein Träumer, der am liebsten mit einem Glas Wein vor seinem
Kamin saß und gute Bücher las oder sich einfach nur seine eigenen Gedanken über
Gott und die Welt machte. In der Öffentlichkeit galt er als höchst
extrovertiert, als ein Mann, der nichts anderes zu tun hatte, als sein Geld in
hohem Bogen zu verschwenden und junge Frauen zu sammeln wie andere Briefmarken.
Er arbeitete wie besessen an seinen Produktionen, bis alles
perfekt war. Niemals ist ihm irgendetwas geschenkt worden. Er hat sich alles
mühsam aufgebaut und sich jeden Cent selber verdient. Man musste einfach
Hochachtung vor ihm haben. Warum zeigte er nicht sein wahres „Ich“ auch dem
Rest der Welt? Und warum ließ er sich beispielsweise von Peter Henning so viel
sagen? Dieser Henning war in Christinas Augen ein Speichellecker ersten Grades.
Der wollte sich an Marc nur gesund stoßen. Der Mensch Marc Stevens war ihm doch
vollkommen gleichgültig! Merkte Stevens das denn wirklich nicht?
Als sie am Montagmorgen ins Büro kam, war Stevens schon da.
Das war ungewöhnlich. Sie machte sofort Kaffee und ging mit einer
Autogrammkarte bewaffnet zu ihm hinein. „Morgen! Sie sind aber schon früh bei
der Arbeit!“, begrüßte sie ihn. Er sah heute gar nicht gut aus. Er wirkte müde
und abgespannt. „Ich bin auch nur auf einen Sprung hier“, antwortete er.
„Könnten Sie mir bitte, bevor Sie wieder weg sind, ein Autogramm fertig machen?
Es ist für eine gute Freundin. Sie heißt Nicole. Würden Sie netterweise auch
noch einen kleinen Satz dazu schreiben?“ Er nahm das Autogramm und schrieb:
„für Nicole“.
„Welchen denn?“, fragte er lustlos. „Immer stark wie Pipi
Langstrumpf“, diktierte Christina ihm. „Aha, wie Pipi Langstrumpf“, wiederholte
er und sah sie fragend an. „Ja, schreiben Sie einfach: Immer stark wie Pipi
Langstrumpf!“ Er schrieb, setzte noch seine Unterschrift darunter und gab ihr
die Autogrammkarte zurück. „Dankeschön! Jetzt gibt es erst einmal Kaffee!“
„Frau Klasen! Einen Moment bitte noch!“, hielt er sie vom
Gehen ab. „Ja, natürlich, Herr Stevens.“ Marc wusste, dass es jetzt
wahrscheinlich Ärger mit seiner Assistentin geben würde, denn er konnte sich
heute an eine feste Abmachung zwischen ihnen nicht halten. „Wir können hier
leider keinen Kaffee mehr trinken. Wir müssen sofort losfahren. Ich musste
leider noch einen Studiotag dranhängen.“ Sie reagierte unverzüglich genauso wie
er es befürchtet hatte. „Das muss dann heute einmal ohne mich gehen, Herr
Stevens! Ich muss nämlich ganz pünktlich Feierabend machen. Ich habe heute
Abend Dienst, wie Sie ja wissen.“
„Ich kenne Ihren Dienstplan, Frau Klasen, sogar auswendig.
Aber es geht nicht anders. Sie müssen mitkommen!“
So einfach war das nun auch wieder nicht! „Das wissen Sie
doch
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