Ein Macho auf Abwegen
seines Songs vorstellte. Christina konnte es einmal mehr nicht
vermeiden, dass sich ihre Blicke durch die Scheibe berührten. Sie starrte dann
immer blitzartig auf ihren Bildschirm. Stevens lächelte jedes Mal. Nach einer
Weile kam er zur ihr ins Büro. „Kommen Sie zurecht, Frau Klasen?“ Sie nickte.
„Ja, alles klar! Die Rufumleitung funktioniert auch.“
„Haben Sie nicht Lust ein bisschen herüberzukommen?“
Christina hatte die Produktion in Spanien schon sehr viel Spaß gemacht. Sie
empfand es als eine schöne Zerstreuung vom Büroalltagstrott. „Ja, gerne, Herr
Stevens. Störe ich denn nicht dabei?“ Er legte seinen Arm um sie, was Christina
wieder einmal nicht die Bohne unangenehm war. „Nein, überhaupt nicht. Kommen
Sie nur!“
Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich in eine ruhige
Ecke, damit sie niemandem im Weg war und doch alles gut sehen konnte. Webber
stand in einer der Musikerkabinen und musste den Titel wiederholt von vorne
singen. Der Komponist war allerdings nicht zufriedenzustellen. Stevens
unterbrach Frankie fortwährend und gab ihm durch das Mikrofon Anweisungen in
die schalldichte Glasbox. „Frankie! Die Stelle „Durch deine Augen, schaue ich
in dein Herz“ brauche ich noch einmal.“ Der Sänger verdrehte ärgerlich die
Augen nach oben. Stevens schien ihm auf die Nerven zu gehen, und Frankie zeigte
sehr deutlich, dass er keine Lust mehr auf Stevens Zwischenbemerkungen und
Anordnungen hatte. Marc reagierte auf das lustlose Gehabe des Sängers hinter
der Glasscheibe nicht im Geringsten. Er ignorierte Frankies Unwilligkeit und
blieb weiterhin friedlich. Seine Energie und Ausdauer hatte Christina ja schon
in Barcelona mitbekommen. Er war ein verbissener Perfektionist, und das machte
seinen jahrelangen Erfolg wohl auch aus. „Okay, wir machen eine Pause. Zehn
Minuten, Frankie!“
Webber verließ pikiert mit den Technikern das Studio, und
Stevens machte sich am Computer zu schaffen. „Frau Klasen, hören Sie sich den
Song doch bitte noch einmal im Ganzen an! Ich würde gerne Ihre Meinung dazu
hören.“
„Okay, wenn Sie der Ansicht sind, dass Ihnen das
weiterhilft“, stimmte sie seinem Vorschlag zu. Die Melodie gefiel ihr. Sie war
ihr sofort ins Ohr gegangen. Auch der Text war sehr schön.
„Du kannst mir nichts erzählen, du kannst mich nicht
belügen.
Deine dunklen Augen können mich nicht betrügen.
Durch deine Augen sehe ich deinen Schmerz.
Durch deine Augen schaue ich in dein Herz.“
Stevens beobachtete ihre Reaktion auf den Text. „Und?“,
fragte er am Ende gespannt. „Was halten Sie davon?“
„Der Text ist sehr romantisch und ehrlich. Ich würde sagen,
er ist durch und durch feinsinnig. Die Melodie prägt sich sehr schnell ein,
besonders der Refrain.“ Stevens unterbrach sie. „Aber?“ Christina sprach
vorsichtig weiter. Hoffentlich war er jetzt nicht beleidigt über ihr Urteil.
Doch sie brauchte gar nichts zu sagen. Er sprach das aus, was sie meinte. „Es
haut Sie nicht um, habe ich Recht?“ Sie war richtig erleichtert, dass er es
genauso sah wie sie. „Nein, es würde mich, ganz ehrlich, nicht vom Hocker
hauen.“ Stevens schaute sie begeistert an. „Und können Sie mir auch erklären,
warum es Sie nicht berührt?“ Wie sollte sie das denn nun ausdrücken?
“Ja, also ... Ich denke, Herr Webber steht nicht hinter dem,
was er da singt. Seiner Interpretation fehlt es ganz eindeutig an Emotion,
würde ich sagen.“ Stevens schlug sich beschwingt mit der rechten Hand auf das
Bein. „Genau! So ist es, Frau Klasen! Das haben Sie genau richtig erkannt. Ist
das nicht absurd? Sie, als Konsument, der von unserem Metier sozusagen keinen
blassen Schimmer hat, erkennen das auf Anhieb. Und Frankie? Was merkt der? Der
merkt gar nichts mehr, sage ich Ihnen! Der hatte bis heute exakt zwei
Riesenhits und meint nämlich, es würde alles so weiterlaufen, ohne sich dafür
anstrengen zu müssen. Sein Durchbruch ist ihm schon zu Kopf gestiegen. Da ist
er aber gewaltig schief gewickelt. 1000 Prozent, Frau Klasen. Ich sage immer:
Wenn man erfolgreich sein will, egal in welchem Job, muss man immer, und zwar
jeden Tag neu, 1000 Prozent geben!“
Er rief den Tontechniker wieder herein. „Mach’ mal eine
Aufnahme! Jetzt werde ich dem Frankie einmal vormachen, wie ich mir das
vorstelle.“
Christina war gespannt wie ein Flitzebogen. Würde Stevens es
besser hinbekommen, und könnte sie als blutiger Laie überhaupt einen
Unterschied heraushören? Stevens stand jetzt
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