Ein Macho auf Abwegen
Zimmer. Ihr
gewissenloser Albtraumbegleiter war wieder da. Dieser barbarische Scheißkerl
war wieder in ihr kleines Nest eingedrungen, als gäbe es ihn tatsächlich. Es
begann alles von vorn.
Ángel ging beharrlich auf sie zu. Er peitschte auf sie ein
und fesselte sie an den Handgelenken. Sie hörte ihre eigenen Hilfeschreie. „Por
favor, Ángel! Por el amor de dios! Déjame, por favor!” Sie verspürte, selbst im
Traum, furchtbare Schmerzen, dann lag sein Körper auf ihrem. Sie konnte sogar
seinen Atem fühlen. Ihr Magen rotierte. Sie hörte Ángel vor Erregung lustvoll
aufstöhnen: „Sí, sí, amor, así amor!“
Die Schublade ... das Messer ... überall Blut ... alles rot!
– Tot! Es war vorbei. Ángel lag leblos da. Der böse Traum war endlich vorüber.
Sie saß schweißgebadet und mühevoll atmend auf dem Sofa und machte das Licht
an. „Da siehst du es, Marc Stevens! Es ist aussichtslos! Ich darf nichts für
einen anderen Mann empfinden. Nicht für dich, für niemanden! – Er ist immer
dabei. Ángel wird mich niemals in Frieden lassen. – Niemals mehr!“ Das war ein
Teil von ihr und fest in ihre Seele gebrannt. Sie könnte mit niemandem mehr
zusammen sein.
Sie hatte die restliche Nacht versucht, ihre Augen offen zu
halten und gegen ihre Müdigkeit anzukämpfen. Viel zu groß war ihre Angst vor
der Bewusstlosigkeit, vor einem neuen Albtraum. Logischerweise hatte der Schlaf
sie trotzdem noch übermannt, immerhin hatte sie nicht mehr schlecht geträumt.
Wie gerädert stand sie morgens auf. Eine kalt-warme
Massagedusche half ihr, wenigstens etwas frischer auszusehen. Stevens würde ihr
mit Sicherheit ansehen, dass sie eine miese Nacht hatte. Seiner inzwischen selbstverständlich
gewordenen Frage nach ihrem Wohlbefinden wollte sie sich unter allen Umständen
entziehen. Also schmierte sie sich etwas mehr von allem ins Gesicht.
Anti-Aging-Creme etwas großzügiger aufgetragen, doppelt soviel
Augenfaltencreme, extra viel Lidschatten, insbesondere kräftig getuschte
Wimpern, und vor allem ein Lippenstift in einer kräftigen Farbe sollte über
ihre Abgespanntheit hinwegtäuschen.
Es klingelte an der Wohnungstüre. Sie schaute nervös auf die
Uhr. Es war schon 7.20 Uhr, und sie hatte noch nicht einmal Kaffee getrunken.
Das ganze Make-up hatte heute wesentlich länger gedauert als sonst üblich. Das
musste Gaby sein, die sie zur Arbeit abholen wollte. Aber sie hatte ihrer
Freundin doch gesagt, dass sie die ganze Woche nicht im Verlag arbeiten würde.
Mit Sicherheit hatte Gaby es, vor lauter Dirk hier und Dirk da, wieder
vergessen. „Oder mal wieder nicht zugehört! Das sieht der Kleinen in ihrem
Liebestaumel ähnlich“, urteilte sie, drückte rasch den Summer für die Haustüre
und lehnte vorsorglich die Wohnungstür an, um dann flinken Schrittes zurück ins
Badezimmer zu eilen. Sie war immer noch nicht ganz fertig aufgedonnert und
musste sich wirklich sputen. In zehn Minuten würde Stevens unten auf sie
warten.
Sie hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen. „Komm rein!“,
rief sie, „Ich komme doch gar nicht mit in den Verlag! Hast du wohl nicht mehr
daran gedacht, was? – Ich muss mich ranhalten. Unser aller Superstar holt mich
nämlich gleich persönlich ab. Ja, wie du siehst, muchacha. Ich genieße Chef-Komplett-Service.
Da staunst du, ne?“ Sie zog sich noch schnell die Lippen nach und kontrollierte
das fertige Make-up im Spiegel. „Sie sehen hübsch aus, wie immer, Frau Klasen.“
Christina riss die Augen auf. Es war überhaupt nicht Gaby, es war Stevens, der
witzelnd auf der Türschwelle zu ihrem Badezimmer stand. Er hatte ihr Refugium,
ihre Männer-Tabu-Zone, betreten!
Stevens lehnte lässig am Türrahmen und kraulte sich seinen
blondbemähnten Stiernacken. Nackenkraulen bedeutete Verlegenheitsstufe eins.
Christina wusste inzwischen seine Gesten genau zu unterscheiden. Strich er sich
hektisch über den Oberkopf hieß das: Ich bin heute echt gestresst. Krabbeln
über dem Ohr bedeutete: Das ist mir jetzt ein wenig unangenehm. Nackenkraulen
war die Höchststufe seiner Haar-Strubbelig-Machen-Marotte. Ob er sich dieser
Angewohnheit eigentlich bewusst war?
Das durfte sie ihm auf gar keinen Fall durchgehen lassen.
Das war ja wohl das Allerletzte! „Herr Stevens! Was haben Sie denn in meinem
Badezimmer zu suchen? Ich meine,... ich hätte ja auch nackt sein können!“,
empörte sie sich donnernd. Er feixte locker vom Eingang: „Och, das hätte mich
ganz und gar nicht gestört,
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