Ein Macho auf Abwegen
dort?“
Sie dachte eilig nach. Wie konnte sie diese Frage
beantworten, ohne erneut dämlich in ihrem Kaffee herumzurühren? „Nein,
Geschwister habe ich nicht, und meine Eltern habe ich durch einen tragischen
Unglücksfall verloren ... schon lange her.“ Das war immerhin nicht richtig
gelogen. Nur ein bisschen geschwindelt. Durch den tragischen Unglücksfall, dass
sie ihren Ehemann eigenhändig ins Jenseits befördert hatte, hatte sie ja in der
Tat ihre Eltern verloren. „Und Sie? Haben Sie Familie?“
„Ich bin ebenfalls ein Einzelkind, und meine Eltern leben
auch nicht mehr.“
Die beiden saßen sich ohne Worte gegenüber, bis Stevens
einfiel, was er noch fragen könnte. „Was hat Sie eigentlich damals nach Spanien
verschlagen?“ Frostklirrende Assistentinnenaugen blitzten ihn schlagartig an.
Christina ging das nun über das Maß hinaus. Über Marbella wollte und würde sie
gewiss nicht mit ihm plaudern. „Ich glaube, wir haben ganz vergessen, warum wir
hier sind, Herr Stevens“, lenkte sie von seiner Frage ab. „Haben wir nicht zu
arbeiten?“ Sie erhob sich schlagartig vom Sofa und begann damit, den Tisch
abzuräumen.
Für Marc stand eines ganz klar fest: In Spanien, genauer
gesagt in Marbella, lag der Schlüssel zu ihrem bekümmerten Wesen.
Möglicherweise war die Ursache ihrer traurigen Schatten um die Augen ja die
Trauer um ein Kind. Es wäre doch denkbar, dass sie einmal ein Kind gehabt
hatte, und es durch einen Unfall oder gar eine furchtbare Krankheit verloren
hatte. Sie hatte eben noch erwähnt, ihre Eltern durch einen tragischen
Unglücksfall verloren zu haben. Es konnte doch gut möglich sein, dass sie dabei
nicht nur ihre Eltern verloren hatte. Was sonst könnte einen Menschen
freudloser machen, als der Tod des eigenen Kindes. Ihre Ehe war dann unter
Umständen an diesem Verlust zu Grunde gegangen. Er hatte schon oft gelesen,
dass die hinterbliebenen Eltern es in aller Regel nicht schafften, ein solches
Trauma zu bewältigen. Schuld waren meistens unterschwellige und
unausgesprochene Schuldzuweisungen. Diesem innerlichen Druck hielt kaum ein
trauerndes Elternpaar stand. Aber, das wird wohl immer ihr Geheimnis bleiben,
dachte er.
Das Tonstudio befand sich im Kellergeschoss. Stevens zeigte
Christina die Räumlichkeiten und erklärte ihr alles. Tapeten für die Wände
wären eigentlich nicht erforderlich gewesen, denn sie waren über und über mit
goldenen und Platinschallplatten und anderen Auszeichnungen versehen. Es gab
auch Regale mit den verschiedensten Statuen, alles Preise von Fernsehsendern
und Zeitungen. Im hinteren Teil des Studios waren zwei Kabinen für die
Interpreten installiert, die durch Glasscheiben vom Rest des Raumes abgetrennt
waren. Davor befand sich ein riesiges Mischpult mit Hunderten von Knöpfen und Schiebereglern
und einer Computeranlage. „Und das können Sie alles bedienen?“, fragte
Christina vollends beeindruckt von dieser ganzen Technik. „Sind Sie denn
ausgebildeter Tontechniker?“ Stevens schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich
mir alles selber beigebracht. Ich bin in Wirklichkeit Diplombetriebswirt.“
Christina staunte nicht schlecht. „Sie haben studiert?“
„Ja, ich wollte als Jugendlicher schon nichts anderes als
Musik machen, aber meine Eltern bestanden auf einer soliden Berufsausbildung.
Ich sollte eigentlich Lehrer werden, wie mein Vater, damit ich auf eigenen
Beinen stehen konnte. Das wollte ich aber partout nicht. Also entschied ich
mich für ein Wirtschaftsstudium. Ich dachte damals: Es wird dir in der
Musikbranche sicher nicht schaden, wenn du weißt wo es langgeht.“
Wie wenig die Öffentlichkeit doch über ihn wusste! Stevens
spielte jedes Mal eine Rolle, wenn eine Kamera auf ihn gerichtet wurde. Privat
war er ein ganz anderer Mensch.
Christinas Arbeitsplatz befand sich in einem Zimmer neben dem
Studio. Durch ein Fenster konnte sie sehen, was nebenan vor sich ging. Sie
setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Stevens war nun
nicht mehr alleine. Mehrere junge Männer, einschließlich des bekannten Sängers
Frankie Webber, hatten sich im Studio eingefunden. Christina konnte leider
durch die schalldichten Wände nicht mithören, was drüben gerade fabriziert
wurde. Sie konnte allerdings beobachten, dass Stevens wieder ganz in seinem
Element war. Sie betrachtete aufmerksam, wie er Regler hin und herschob, Knöpfe
drückte und Frankie Webber mit körperlichen Gesten erklärte, wie er sich die
Interpretation
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