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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bolschewisten, Demokraten, Republikaner, Royalisten sein – statt Menschen, nichts weiter als Menschen, das, als was du uns gemacht hast: dein Ebenbild?!«
    Stumm legte Pawel Andrejewitsch Turganow die Hand Anuschkas in die Hand Martin Abels'.
    Olga Turganowa weinte wieder. Der Pope am Altar begann zu singen. Seine Greisenstimme hallte durch den großen Raum, sie zitterte in den hohen Tönen und orgelte tief in den Bässen. Dann erbat er Gottes Segen für Anuschka und Martin und erzählte vom Erzengel Michael, dem Heiligen der Deutschen, wie er beiläufig einfließen ließ.
    Die eigentliche Trauzeremonie begann. Samsonow und Unjeski stellten sich neben das Brautpaar und hielten ihre Fellmützen über die Köpfe der beiden. Früher hatte man dazu goldene Kronen genommen. Aber wer hatte schon eine goldene Krone in Torusk?
    So traute der Pope Martin und Anuschka im Namen Jesu Christi. Er küßte die Braut, küßte den Bräutigam, segnete ihren Bund und sang noch ein Lied von der allmächtigen Liebe Gottes.
    Dann trat Turganow an den Altar. Er zerbrach das Brot, streute Salz auf die Stücke und reichte sie mit beiden Händen hin. »Nimm, Tinja«, sagte er zu Abels. »Von Brot und Salz kann ein Mensch leben. Es möge euch nie ausgehen.« Dann nahm er das Ohr des Fuchses, heftete es mit einer Nadel an die Brust Martins und sagte: »Und sei ein guter Jäger, Tinja. Es möge keinen Tag geben, an dem du mit leerer Tasche nach Hause kommst. Das ist das Höchste, was wir dir hier wünschen können. Und nun werdet glücklich.«
    Anuschka und Abels aßen ihre Brotstücke mit dem Salz, dann umarmten sie Olga und Pawel Andrejewitsch, küßten Samsonow und Unjeski, die Zeugen, auf beide Wangen und sahen sich dann in die Augen. Zum erstenmal als Mann und Frau.
    Unjeski trat von einem Bein auf das andere.
    »Es wird Zeit, Freunde«, mahnte er. »In zwei Tagen könnt ihr euch ansehen, solange ihr wollt. Aber jetzt heißt es, viele Werst hinter euch zu bringen. Morgen schneit es, der Wind wird eure Spuren auslöschen. Die besten Hunde der Politruks werden die Fährte nicht mehr aufnehmen können. Nur müßt ihr jetzt aufhören, weiter Hochzeit zu feiern.«
    »Ich habe einen Braten im Ofen!« rief Olga entsetzt. »Was ist eine Hochzeit ohne Braten?«
    »Den essen wir noch, Olgaschka! Aber erst müssen sie weg.« Hauptmann a.D. Samsonow hatte es plötzlich auch eilig. Man konnte nie wissen, ob Kommissar Amganow sein Wort hundertprozentig hielt. Man hatte schon zuviel erlebt mit der Partei. Da wurden große Worte gemacht, und was blieb nachher? Ein Dreck. Nicht mal erinnern wollten sich die Burschen. Und so sehr Amganow auch ein Freund und Mensch war – der rote Litowka saß ihm auf der Pelle und drängte. Und so fest sitzt keiner im Sattel, als daß nicht eine Beschwerde bei der vorgesetzten Behörde ihn vom Stuhl fallen lassen könnte. Wenn Minister zu Gasanstaltsleitern degradiert werden, bitte schön – was ist da schon ein kleiner Gebietskommissar?
    Anuschka löste den Schleier vom Haar und gab ihn ihrer Mutter. Dann gingen sie in den Nebenraum, und diesmal war es Abels, der seiner Frau aus dem Brautkleid half und die dicken Reisekleider hinhielt. Er zog ihr die langen Fellstiefel an, band ihr langes schwarzes Haar hoch und steckte es unter die Pelzmütze. Sie küßten sich, und Anuschka drückte das Gesicht gegen seine Brust und zitterte.
    »Ich habe Angst, Tinja«, stammelte sie.
    »Angst? Wovor?«
    »Nicht vor der Reise. Aber … aber wir werden nie mehr zurückkommen nach Torusk …«
    »Das ist möglich«, sagte Abels leise.
    »Vater und Mamuschka werden sterben, ohne daß ich bei ihnen bin.«
    »Ja, Anuschka.«
    »Du wirst mich in ein fremdes, fernes Land bringen. Nach Deutschland. Niemand wird mich dort verstehen, sie werden mich anstarren, sie werden mich auslachen, sie werden mich hassen.«
    »Aber, Anuschka. Warum sollen sie dich hassen?«
    »Ich bin eine Russin.«
    »Niemand wird dich beleidigen, weil du es bist. Das behauptet nur eure Propaganda. So steht es in euren Zeitungen, so reden die Parteiredner zu euch. Du wirst sehen: Mit offenen Armen werden sie uns in Deutschland empfangen. Wir werden mehr gute Freunde haben als Torusk Einwohner.«
    »Ich sehe anders aus als eure Frauen.«
    »Du bist die schönste Frau von allen.«
    »Ich habe schwarze, schiefe Augen, und meine Haut ist nicht weiß, sondern bräunlich-gelb.«
    »Sie werden um dich stehen und dich bewundern.«
    »Wie ein Tier aus dem Urwald.«
    »Vielleicht.

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