Ein Mädchen aus Torusk
hatten die Jäger eine Wut. Sie sprangen, kaum daß die Tiere verendet im Schnee lagen, hinzu, traten sie mit den Füßen und schrien: »Ihr Mörder! Vier Menschen habt ihr umgebracht! Stückweise hätte man euch töten müssen! Ihr Schufte, ihr!«
Der ›Rote‹ kletterte von seinem Baum und senkte den Kopf. Aus der Hand Abels' nahm er sein Schnellfeuergewehr zurück, und wenn auch niemand ein Wort sprach – daß es ausgerechnet der Deutsche gewesen war, der den Tiger schoß und die Waffe zurückgab, war etwas, das er nie vergessen würde.
»Das Fell des Weibchens ist hinüber«, sagte Turganow. »Aber das andere, Freunde, das gibt einen guten Preis. Vielleicht auch kann Unjeski das Weibchenfell ausflicken und die Löcher verdecken. Ist ja ein großer Gauner, unser Victor Pawlowitsch.«
Sie lachten alle, banden dicke Seile um die Hälse der Tiger, vier Mann spannten sich vor die Kadaver, und dann zog man die Tiere durch den Schnee und den Wald bis zu den Schlitten, die auf einer Lichtung warteten. Dann trank man einige Flaschen Wodka leer, denn man war durchgefroren, nur der ›Rote‹ saß finster abseits, trank nicht mit, und es sprach ihn auch keiner an. Ein Torusker Jäger, der auf einem Baum sitzt! Der sein Gewehr wegwirft! O Freunde, das Auge wird beleidigt, wenn man so etwas ansieht.
Am Abend feierte man ausgelassen in der Wirtschaft, und Martin Abels erhielt von Hauptmann Samsonow die schwarzen Ohrbüschel des männlichen Tigers als Siegespreis.
Am nächsten Morgen war der ›Rote‹ aus Torusk verschwunden. Und wieder ahnte Turganow nichts Gutes.
*
Drei Tage nach der denkwürdigen Tigerjagd kam Hauptmann a.D. Samsonow zu den Turganows. Er wählte einen guten Zeitpunkt. Um ehrlich zu sein: Er hatte es so abgepaßt, denn Abels und Anuschka waren nach Taragaisk gefahren, um Mehl zu kaufen.
Olga, das Mütterchen, kochte einen starken Tee und briet eine Scheibe Speck, und Turganow, mit dem Ausschaben eines Fuchsfelles beschäftigt, bot Machorka und seine Pfeife an.
Samsonow streichelte seine Riesenglatze, starrte an die verräucherte Balkendecke des Zimmers und streckte sein steifes Bein weit in die Gegend.
»Es ist alles Scheiße, meine Lieben!« sagte er gedankenschwer. »Ich war in Taragaisk. Ihr wißt, Unjeski hat das einzige Telefon in der Gegend. Ich habe mit dem Genossen Distriktkommissar Amganow gesprochen. Nikolka ist bei ihm und hat eine Anzeige gemacht. Ein Spion der Deutschen soll in Torusk sein. Ein schriftliches Protokoll hat der Sauhund anfertigen lassen, eine offizielle Anzeige, die man nicht in der Schublade verschwinden lassen kann. Sie muß weiter nach Jakutsk, und viel schlimmer: Da es heißt Spion, muß sie zum Militärkommandanten. Zu General Wyschewskij. Ich kenne ihn. Wenn er Spion hört, läuft er rot an und bekommt einen Rappel wie ein Stier in der Arena. Was soll er tun, unser guter Freund Amganow? Er kann die Anzeige zwei, drei Tage lang liegenlassen. Aber dann muß sie weg, sonst kommt er selbst in ein Straflager. Das weiß Nikolka, dieses Riesenschwein. Und er sitzt jetzt vor der Distriktkommandantur wie eine Spinne vor der Fliege und wartet auf das Militär.« Hauptmann Samsonow sah in die entsetzten, sprachlosen Gesichter der Turganows. »Ja, so ist es. Ich habe mit Amganow gesprochen. Er läßt Tinja und Anuschka zwei Tage Vorsprung – mehr kann er nicht tun.«
»Vorsprung? Wofür?« fragte Olga etwas dümmlich. Sie war eben eine Mutter und keine Politikerin. Pawel Andrejewitsch dagegen verstand den Hauptmann zu gut. Er seufzte und hieb dann mit der Faust in ohnmächtiger Wut gegen sein Knie.
»Ich bringe ihn um!« schrie er. »Ich reiße dem Roten die Haare einzeln aus! O Mutter Gottes, hätten die Tiger ihn doch gefressen!«
»Da dies nicht geschehen ist, können wir auf solche Wunder nicht hoffen«, sagte Samsonow, der Realist. »Zwei Tage, das ist nicht viel. Und wohin?«
»Wieso wohin?« fragte Mütterchen Olga wieder. Sie begriff noch immer nicht.
»Zu Unjeski?« fragte Turganow.
»Nein. Wenn Militär kommt, quartiert es sich dort ein. Auch in der Umgebung ist kein Platz. Bei Spionen setzen sie Hubschrauber ein. Ihr kennt die Furcht vor Spionen. Sie müssen in diesen zwei Tagen verschwunden sein. Einfach weg!« Samsonow trank seinen Tee und schwitzte stark. »Und auch du wirst Schwierigkeiten bekommen, Pawel Andrejewitsch. Man wird dich verhören und fragen: Warum hast du als guter Bolschewist nicht diesen deutschen Staatsfeind gemeldet, als er auftauchte.
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