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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Daneben die Stolowaja, der Versammlungssaal, in dem die Partei tagte. Etwas weiter, als höchstes Gebäude, der Wasserturm, die einzige Quelle Torusks in den kurzen, aber glühendheißen Sommern. Dort, das Haus der Kriwows … die Stallungen der Jassenskis … das Lager des Holzsägers Anikin … Lebt wohl! Lebt wohl! Leb wohl für immer, du schöne Welt der Taiga, du Land an der Lena, du einsamstes Land der Erde, du herrlichste Heimat …
    Der Wald nahm sie auf. Der Schlitten holperte über vereiste Schneewehen. Sasja, das Pferdchen, schnaubte und blies weiße Wolken aus den Nüstern. Torusk war im Schnee versunken. Die schier grenzenlose Weite war um sie und ein Ziel, so unendlich entfernt, daß es schwer war, sich diese Strecke vorzustellen. Von Torusk nach Bremen, von der Lena zur Weser – man könnte auch sagen: Von Torusk bis zum Mond. Das Unmeßbare blieb sich gleich.
    Anuschka kroch nach vorn neben Abels. Sie kuschelte sich an ihn, kroch unter seinen Pelz und legte den Kopf an seine Brust. Das Pferdchen trabte weiter, zügellos, unter den hohen Kiefernbäumen, zwischen uralten, rissigen Birkenstämmen hindurch. Es gab keinen Weg mehr, es gab nur noch eine Richtung: Süden!
    Anuschka schloß die Augen. Abels spürte, wie ihr Körper zitterte. Es ist nicht leicht, einen Abschied für immer zu überstehen, eine Wegfahrt ohne Hoffnung auf eine Wiederkehr.
    »Jetzt habe ich nichts mehr«, flüsterte Anuschka und schlang die Arme um Abels' Hals. »Jetzt bist du alles, Tinja!«
    Es begann zu schneien. Gott verwischte die Spuren.
    *
    Etwas früher an diesem Tag geschah etwas in Schigansk, das weder Unjeski noch Samsonow ahnten. Auch Kommissar Amganow hatte keine Möglichkeit, Nachricht zu geben. Die einzige Fernsprechverbindung bestand zu Unjeski, und der war in Torusk. Dreimal rief Amganow an, aber immer meldete sich nur ein Gehilfe, ein dämlicher Mensch, der nicht telefonieren konnte und in die Muschel schrie: »Keiner da! Ende!« und abhängte.
    Folgendes war in Schigansk geschehen:
    Nikolka Ippolitowitsch Litowka, der ›Rote‹, hatte die Geduld verloren, vor dem Kommissariat auf die Ankunft der Miliz zu warten, die den deutschen Spion in Torusk gefangennehmen sollte. Fünfmal suchte er den Kommissar Amganow auf und wurde angebrüllt, daß die Wände wackelten.
    »Was bildest du dir ein, du rote Wanze?« schrie Amganow beim letztenmal. »Ich habe es gemeldet! Soll ich die Soldaten aus meiner Hose schütteln! Es liegt jetzt am Kommandeur! Geh hin, du Mißgeburt, und frag den Genossen Major, warum er nicht marschiert! Wenn man dir dann den Schädel einschlägt, tut man ein gutes Werk! Ich habe meine Pflicht getan!«
    Da hatte Litowka genug. Er entwickelte eine Tätigkeit, die Amganow mit großem Mißtrauen überwachen ließ: Er verkaufte drei wertvolle Silberfüchse, vier Hermeline und die Stinkdrüse einer Fuchsfähe, mit der man die männlichen Füchse anlocken konnte über zehn Werst hinweg. Mit dem Erlös kaufte sich Nikolka, der ›Rote‹, einen kleinen, schnellen Schlitten und zwei Zugrentiere. Dann packte er seine Sachen in den Schlitten, beschimpfte in der Herberge den Gebietskommissar als westlichen Knecht und fuhr ab.
    Borja Grigorjewitsch Amganow war sich darüber klar, was Litowka wollte. Mit seinem schnellen, wie ein Pfeil über den Schnee fliegenden Schlitten war er dreimal schneller als der Pferdeschlitten, mit dem Martin Abels die Flucht nach Süden versuchte. Ein Vorsprung machte dann nichts mehr aus, in zwei Tagen würde er aufgeholt sein.
    Wieder rief Amganow in Taragaisk bei Unjeski an. Und wieder war der blöde Mann am Apparat, brüllte: »Keiner da! Ende!« und legte auf. Amganow fluchte in den wildesten Tönen und überließ es nun dem Schicksal, was daraus werden würde. Er benachrichtigte notgedrungen jetzt erst den Militärkommandanten und sagte atemlos: »Genosse Major … in Torusk soll ein Deutscher sein! Jawohl! Wahrscheinlich ein Spion! Ich mache sofort Meldung nach Jakutsk. Sie marschieren in einer Stunde? Fabelhaft, wie das klappt, Genosse Major. Selbstverständlich komme ich mit. Ich muß den deutschen Hund doch verhören!«
    Eine Stunde später begann es zu schneien. Amganow rieb sich die Hände und machte einen kleinen Tanz um den Eisenofen in seinem Büro. Prompt rief der Major wieder an und klagte sein Leid.
    »Schneesturm, Genosse Kommissar. Die Wagen fallen also aus. Wir müssen mit den Schlitten nach Torusk fahren. Das verschlingt viel Zeit. Ein Trost ist, daß auch der

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