Ein Mädchen aus Torusk
das den endgültigen Verzicht auf Martin.«
Ludwig Petermann setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und stieß den nachdenklichen Fernholz gegen die Schulter. »Du, sag mal, was ist eigentlich an Martin dran, daß die Frauen in ihm immer ihre große Liebe sehen?«
»Er ist eine Mischung von Manager und Romantiker.« Fernholz steckte sich eine Zigarette an und sah dem Qualm nach wie einem Schmetterling. »Er erweckt Bewunderung und Mutterinstinkte. Gegen eine solche Mischung ist eine Frauenseele einfach machtlos; sie schmilzt dahin wie Eis auf glühenden Kohlen.«
Petermann schwieg. Er starrte auf das Muster des Teppichs.
»Wie, glaubst du, sieht diese Anuschka aus?« fragte er dann.
Fernholz hob die Schultern.
»Auf keinen Fall wie eine Matka. Sie muß einen eigenwilligen Reiz haben. Ich stelle sie mir vor wie eine Halbasiatin. Vielleicht werden wir sprachlos sein, Ludwig.«
»Ich habe ein wenig Sorge darum.« Petermann ließ sich vom Schreibtisch auf den Boden gleiten und wanderte in seinem Büro unruhig hin und her. »Du bist Metzger, Heinz. Nichts gegen Metzger. Man mag deine Wurst, man kauft deine Steaks, man bestellt bei dir Kasseler und die Rippchen im Pökel. Und Weihnachten lieferst du Puten und polnische Gänse. Aber in die Gesellschaft riechst du nicht hinein.«
»Gott sei Dank. Ich wäre wie ein Stier vorm roten Tuch.«
»Martin aber gehört dazu. Er hat ein großes Werk, er ist Millionär, er hat gesellschaftliche Verpflichtungen. Geschäfte werden ab einer bestimmten Größenordnung nicht mehr im Büro, sondern bei Partys, Jagdessen, Reiterfesten, Jachtturnieren und Hausbällen gemacht. Ein Glas Portwein am flammenden Kamin oder eine Havanna auf der Terrasse während eines Gartenfestes kann Hunderttausende wert sein. Und nun stell dir vor: Zwischen den eleganten Roben steht das Taigaweibchen, dieses Mädchen aus Torusk. Eine Bemerkung, ein Blick, eine Bewegung nur kann Abels ein Vermögen kosten, denn die großen Männer der Industrie sind klein, wenn sie allein mit ihren Frauen sind.« Petermann blieb ruckartig stehen. »Verdammt, ich habe ernste Sorgen um Martin. Man kann nicht alles im Leben erzwingen. Jemand kann heimlich nach Sibirien wandern und wieder herauskommen, ein unwahrscheinliches Abenteuer gewiß, aber gefährlicher ist es, außerhalb der neuen deutschen Geldaristokratie zu stehen. Es ist leichter, bei fünfzig Grad Frost im Urwald zu übernachten, als den Eisberg aufzutauen, der sich hier um Martin bilden kann.«
Fernholz zerdrückte nervös seine Zigarette in einem der Aschenbecher aus Zinn, die überall bei Petermann herumstanden. »Martin ist kein Spinner!« sagte er. »Er wird Anuschka vorsichtig ›aufbauen‹, wie man so sagt. Er wird seine Taigaeroberung nicht wie eine Bombe in der Gesellschaft platzen lassen.«
Die Hoffnung wurde leider am späten Abend zerstört.
Noch aus Tokio kam ein neues Telegramm. Es war mit prägnanten Wünschen gefüllt:
Ankomme übermorgen 14 Uhr Flughafen Fuhlsbüttel stop Erwarte nur Dich dort stop Für kommenden Samstag Hausball vorbereiten stop Einladungen an alle maßgebenden Personen der Stadt stop Speisenfolge und Gesamtgestaltung mit dem Geschäftsführer des Atlantik-Hotels besprechen stop Sieben Lohndiener engagieren stop Ich verlasse mich ganz auf Dein Organisationstalent stop Martin
Petermann warf das Telegramm auf den Tisch und sah Fernholz entsetzt an. »Er ist verrückt geworden«, stammelte er. »Er will das Taigamädchen der großen Gesellschaft vorstellen. Vier Tage nach der Rückkehr. Das gibt eine Katastrophe.«
»Und Inken? Sie muß eine Einladung erhalten«, sagte Fernholz düster.
»Nicht auszudenken.« Rechtsanwalt Petermann nahm das Telegramm, zerknüllte es und warf es an die Wand. »Kaum aus der Hölle zurück, bläst er uns alle um. Aber so war er immer. Erinnerst du dich, wie wir nach Hause kamen? Ausgemergelt, froh, überhaupt zu leben, glücklich, in unseren Steppjacken herumlaufen zu können, frei, wohin wir wollten, ohne immer zu hören: ›Stoij! Obratno!‹ oder das widerliche: ›Dawai! Dawai!‹ Wir haben uns hingesetzt, die Hände in den Schoß gelegt und genossen, wieder Menschen zu sein. Und er? Er ist in seine elterliche Fabrik gegangen, am zweiten Tag, hat sich umgesehen und hat zu den Direktoren gesagt: ›Meine Herren, ich komme zwar aus Sibirien, aber ich habe gesehen, was dort los ist und was der Russe, verborgen vor den Augen der Welt, aufbaut. Einmal, wenn er den Vorhang
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