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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zurückzieht, der noch über Sibirien liegt, wird die Welt nicht nur staunen, sondern erschauern vor der Macht, die da heimlich vor ihrer Tür entstanden ist. Und wodurch entstanden? Durch Arbeit! Meine Herren – auch wir werden in die Hände spucken! Nicht einmal, sondern dreimal!‹« Petermann ging zum Bücherschrank, klappte das Barfach herunter und goß sich und Fernholz einen Kognak ein. »Den letzten Satz wollte die Belegschaft schon in Goldbuchstaben in die Eingangshalle des neuen Verwaltungsgebäudes hängen. Martin war immer wie ein auf vollen Touren laufender Dynamo. Aber das jetzt, dieses Fest mit dem Mädchen aus Torusk, das gibt die größte Pleite seines Lebens. Hier verrennt er sich, hier sieht er seine Grenzen nicht mehr.«
    »Und was willst du tun?« fragte Fernholz und schnupperte an dem Kognak.
    »Tun, was er befohlen hat. Sich weigern wäre noch schlimmer. Hat er sich zurückhalten lassen, diesen Wahnsinnstrip nach Sibirien zu machen? Na also! Martin ist ein Mensch, den nur Schaden heilt. Er soll seinen Willen haben.«
    Und Petermann begann unter Mithilfe Fernholz', eine Liste der Bremer Prominenz aufzustellen, die zur Begrüßung Anuschkas eingeladen werden sollte. Es waren zweiundvierzig Familien. Die Sahne der Gesellschaft, wie Fernholz später sagte. Und Petermann fügte hinzu: »Martin wird sie zu Butter schlagen statt zu Schlagsahne.«
    Dann tranken sie die Flasche Kognak leer.
    Männer mit Sorgen brauchen einen geistigen Ausgleich.
    *
    In einem so großen Haushalt wie dem des Reeders Holgerson ist es nicht nötig, auf Zeitungen oder Rundfunk zu warten oder die Stunde abzupassen, bis der Herr des Hauses die nötigen Worte findet. Inken erfuhr die Rückkehr Martin Abels' von der Köchin, und diese wußte es von dem Gesellen des Metzgers Fernholz, wo sie für das Abendessen Kalbsschnitzel geholt hatte.
    Inken nahm die Mitteilung mit unbewegtem, aber plötzlich schneeweiß werdendem Gesicht auf. »Ist es sicher?« fragte sie mit erstaunlich gefaßter Stimme. »Ist das kein dummes Gerücht, Martha?«
    Die Köchin Martha schüttelte energisch den Kopf. »Aber nein. Der Herr Fernholz ist doch von dem Rechtsanwalt Petermann angerufen worden. Und der Herr Dr. Petermann ist doch der Bevollmächtigte.«
    »Ich weiß. Danke, Martha. Es war lieb von Ihnen, es mir gleich zu sagen.«
    Niemand war dabei in den nächsten Stunden, die Inken allein auf ihrem Zimmer saß, vor dem Spiegel, stumm und mit gefalteten Händen. Dann ergriff sie ihren Stock und humpelte durchs Zimmer, immer an dem großen Spiegel vorbei, der das Bild ihres ganzen Körpers zurückwarf. Es war ein Anblick des Jammers, wenn ihr Bild in der blanken Fläche auftauchte: Ein junges, hübsches Mädchen, schlank und wohlgewachsen, mit hochgesteckten goldbraunen Haaren, aber hinkend und das Bein nachziehend wie ein gelähmter Hund, wie Richard III. wie Talleyrand, wie der Glöckner von Notre-Dame. Da warf Inken den Stock weg, schleuderte ihn mit aller Wucht gegen die Wand, schlug die Hände vor die Augen und ließ sich hinterrücks aufs Bett fallen.
    Eine ganze Weile lag sie so, nach innen schluchzend, unbeweglich, in einer unsagbaren Verzweiflung. Das Haustelefon läutete. Die Hausdame meldete, daß Herr Holgerson gekommen sei und man in zwanzig Minuten das Abendessen servieren würde.
    »Ja, ich komme!« sagte Inken mit gepreßter Stimme. »Ich ziehe mich nur noch um.«
    Sie tat es wirklich. Sie zog eines ihrer schönsten Kleider an, in dem sie im vergangenen Sommer mit Martin Abels auf Holgersons Privatjacht die Weser hinuntergefahren war bis Imsum hinter Bremerhaven. Seit diesem Tage hatte sie es nicht mehr getragen. In diesem Kleid hatte Abels sie zum erstenmal geküßt, und sie hatte gefühlt, daß es kein Flirt mehr war, keine Sommerlaune, die verfliegt wie der Wind über dem Meer, sondern ein echtes, tiefes Empfinden, das in den Wunsch mündete: Ich möchte immer bei ihm bleiben. Ich liebe ihn.
    Jetzt stand sie wieder in diesem Kleid vor dem Spiegel. Es paßte noch. Wenn sie stand, hatte sich nichts geändert, ja es schien, als sei sie in diesen Monaten noch schöner geworden, reifer und fraulicher. Nur wenn sie ging, zerfiel dieses Bild. Es war, als klappe ein Mensch einfach zusammen.
    Sie schloß deshalb auch die Augen, als sie vom Spiegel weghinkte, um dieses schreckliche Bild nicht zu sehen. Bevor sie hinunterging ins Speisezimmer, rief sie Dr. Petermann an. »Martin ist zurückgekommen?« fragte sie ohne Einleitung.
    Am anderen

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