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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wird es regnen, dachte er. Wir haben April. Da ist Deutschland trüb und windig. Aber die Osterglocken blühen schon längst und die Tulpen und Hyazinthen. Und die Forsythien leuchten golden in den Gärten, und wenn wir Glück haben und es waren vorher warme Tage, stehen die wundervollen Blütenkelche der Magnolien in voller Pracht.
    Anuschkas Einkleidung vollzog sich ohne seine Anleitung in einem Modesalon, von dem der Kulturattaché vertraulich mitteilte, daß auch die Frau Botschafter hier ihre Garderobe beziehe. Es dauerte drei Stunden, bis Anuschka nach Ansicht der Direktrice alles besaß, was zu einer modernen, hübschen jungen Frau gehört.
    Dann kam sie aus den hinteren Räumen nach vorn. Der Kulturattaché schnellte vom Sitz, Martin Abels blieb wie gelähmt sitzen.
    Ein Bild war lebendig geworden, ein Traumbild; eine Schönheit war gegenwärtig, wie sie kein Zeichner darstellen, kein Wort beschreiben, keine Melodie besingen kann. Es gibt eine Grenze menschlicher Darstellungskraft – die Schönheit Anuschkas hatte sie übersprungen. Sie war vollkommen, und selbst das Wort vollkommen war zu klein geworden.
    Sie stand allein in dem salonähnlichen Laden und blickte Abels aus ihren großen, schrägen Augen traurig an. Aber gerade diese Traurigkeit, diese Schwermut, eingebettet in ein unbegreiflich schönes Menschsein, gab ihr die letzte, stumm machende Faszination. Hinter ihr, in der Tür, lachte das breitflächige Gesicht der japanischen Direktrice des Modesalons. Sie war stolz, eine solch schöne Frau bekleidet zu haben.
    »Ich komme mir vor wie ein Kleiderständer, Tinja«, sagte Anuschka kläglich, als niemand etwas sprach. »Wie sehe ich denn aus?«
    »Man müßte beten: Gott, ich danke dir für diese Schöpfung«, sagte Abels leise.
    »Du spottest, Tinja. Ich ziehe alles wieder aus.«
    »Um Gottes willen! Nein! Du bist wunderbar, Anuschka.«
    »Alles haben sie mir eingeschnürt. Sieh dir das an. Die Brüste, den Leib, die Hüften … Einen richtigen Panzer haben sie mir angelegt. Und sieh dir die Schuhe an. Die Absätze. Ich gehe wie auf Stelzen.«
    »Deine Beine sind unwahrscheinlich schön.« Abels sah zur Seite. Der Kulturattaché starrte Anuschka an, als begriffe er noch immer nicht, daß ein lebender Mensch so herrlich sein kann. »Ich werde Angst haben müssen. Jeder Mann wird nicht anders können, als dich anzubeten.«
    »Ist das wahr, Tinja?« Sie ging zu dem großen Spiegel an der Wand, etwas unsicher in den Stöckelschuhen hoppelnd, aber mit einer Grazie und einem natürlichen Schwingen der Hüfte, das einem Mann den Speichel in die Mundhöhle treibt. Sie drehte sich vor dem Spiegel, sah mit gerunzelten Augenbrauen ihr Bild an, hob das Perlonkleid mit dem großen Blumenmuster bis über die Knie hinauf, dehnte die Brust und strich darüber, griff dann in die langen schwarzen Haare, die man nach hinten gelegt hatte, schüttelte sie auseinander und ließ sie wild über die Schultern fließen, ungebändigt wie ihre Natur, geheimnisvoll und atemberaubend wie die Weite der Taiga mit ihren noch heute unerforschten Urwäldern.
    »Armes Bremen!« sagte Martin Abels wieder. »Du wirst an Komplexen leiden.«
    Das Abendessen beim deutschen Botschafter verlief in der gepflegten Atmosphäre eines kulturbewußten Mannes. Abels erzählte in großen Zügen von seiner Wanderung nach Torusk, und immer wieder sah man Anuschka an seiner Seite an, dieses Mädchen mit dem ungreifbaren Zauber asiatischer Grenzenlosigkeit. Sie lächelte verschämt, wenn sie die Blicke merkte, sprach kaum ein Wort, sondern antwortete, wenn man sie fragte: »Ich nix verstehn. Aber werde lärnen deitsch bestimmt.« Und dann war wieder ihr Lächeln da, von dem ein Japaner sagen würde, es gleiche der aufgehenden Sonne über dem Fudschijama. Etwas Schöneres gibt es nicht.
    Man gab ihnen ein Zimmer im Gästehaus der Botschaft und sagte ihnen, daß ein Boy sie rechtzeitig wecken werde. Das Flugzeug flog um 7 Uhr früh von Tokio ab, mit Zwischenlandungen in Bangkok und Karatschi.
    Über Tokio stand eine warme, helle Nacht, als Anuschka ans Fenster trat und es weit aufriß. Blütenduft aus dem Park zog ins Zimmer, irgendwo zwischen den Büschen plätscherte ein Brunnen und zirpten Grillen in den Gräsern.
    »Wie habe ich mich benommen, Tinja?« fragte Anuschka und drehte sich um. Martin Abels stand an der Tür und konnte den Blick von seiner schönen Frau nicht abwenden. Sie senkte den Kopf und ließ die langen schwarzen Haare wie einen

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