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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Abels. Sie müssen ja eine tolle Odyssee hinter sich gebracht haben. Darf ich die gnädige Frau begrüßen?« Er kam auf Anuschka zu, hob ihre Hand zu den Lippen und hauchte den konventionellen Handkuß. Mit einem Erschrecken entzog ihm Anuschka die Hand und legte sie auf den Rücken. Und dann bewies sie, was sie unter Wahrheit verstand.
    »Oh!« sagte sie unbefangen, »noch nix gewaschen Hand. Noch dreckig wie Mist.«
    Der Botschaftsrat lächelte höflich und mokant, machte eine kurze Verneigung und sah dann Abels an. Es war ein Blick, der wie ein stummer Vorwurf war: Sie ist bildhübsch, gewiß … aber was soll sie hier unter uns? So etwas kann man lieben … aber man heiratet es nicht, mein Herr.
    »Ihre deutschen Sprachkenntnisse sind noch unvollkommen«, sagte Abels genußvoll. Er hätte Anuschka an sich reißen und wie ein Irrer küssen können. »Sie spricht eine Art Landserdeutsch. Überbleibsel meiner Sprachkurse in Torusk, vor acht Jahren. Damals sagten wir lieber Scheiße als Fäkalien.« Abels trat vom Fenster weg und dehnte sich. »Da wir nun wieder Bürger einer geordneten Welt sind, hätte ich einige Wünsche, Herr Rat: Für jeden von uns ein Bier – das wäre das Wichtigste.«
    »Ich soll Ihnen eine Einladung des Herrn Botschafters überbringen, Herr Abels. Er möchte das Abendessen mit Ihnen und Ihrer Gattin einnehmen.« Der Botschaftsrat schielte wieder zu Anuschka. Er dachte an die Tafelgespräche und an die Möglichkeit, daß aus diesem wunderschönen Mund die Worte kommen könnten: »Fleisch nix gutt! Zu hart. Mist!«
    Er errötete schon im voraus.
    »Sagen Sie dem Herrn Botschafter unseren herzlichen Dank. Aber so, wie wir sind?« Abels zeigte an sich hinunter. »Für einen Lumpenball reicht es. Ich bitte Sie, mir Geld zu leihen. Mein Anwalt hat ja gebürgt für jede Summe. Wir möchten uns zunächst neu einkleiden.«
    »Aber selbstverständlich. In Tokio haben wir ja keine Ladenschlußzeiten. Sie können zu jeder Stunde …«
    »Ich weiß. Ich bin nicht das erstemal in Japan.«
    Mit dem Bewußtsein, wieder Martin Abels aus Bremen zu sein, wuchsen in ihm auch wieder Haltung und Ausdrucksweise eines westlichen reichen Mannes. Der Martin Abels, der im Dschungel der mongolischen Grenze durch das Schilf kroch, der in der Taiga in Schneehöhlen schlief, der Wölfe und Tiger jagte und zweitausend Kilometer zu Fuß durch das einsamste Land dieser Erde zog, nur begleitet von Akja, dem Wolfshund – dieser bärtige, durch den Schnee stampfende, in Pelzen vermummte Martin Abels, den sie Nikolai Stepanowitsch nannten, zerrann und löste sich auf in Erinnerungen. Der Botschaftsrat spürte es, sogar Anuschka starrte ihren Tinja mit großen, fragenden Augen an. Eine andere Stimme hat er, dachte sie. Und sein Körper ist anders, in der Haltung, in der Bewegung. Ganz fremd ist er plötzlich, und doch ist er Tinja, mein Geliebter, meine Welt, mein alles, was ich habe.
    »Ihnen steht jede Summe zur Verfügung, Herr Abels«, sagte der Botschaftsrat mit größter Höflichkeit. »Wenn ich Ihnen einen unserer Attachés mitgeben dürfte. Die jungen Herren kennen die besten Ausstattungsgeschäfte in Tokio.«
    »Das wäre mir lieb.« Abels knöpfte seine Jacke auf. Das Hemd darunter war durchgeschwitzt und schmutzig. Er hatte es angehabt von Tschita bis Sowjetskaja Gawan an der Küste. »In diesem Hemd habe ich einen Tiger geschossen«, sagte Abels und bohrte den Finger in ein daumengroßes Loch. »Alles, was ich jetzt anhabe, werde ich mitnehmen und zu Hause in einen Glaskasten hängen. Und immer, wenn ich es sehe, werde ich denken: Martin, vergiß Torusk nicht. An diesem einsamsten Ort der Welt hast du dir dein Glück geholt.«
    »Die deutsche Romantik.« Der Botschaftsrat faltete die Hände über dem Bauch. »Ich beneide Sie um Ihre Gattin, Herr Abels.«
    »Das ist gelogen.« Abels lächelte spöttisch zurück. »Ich weiß, was Sie in Wahrheit denken. Keine Angst, ich spreche es nicht aus. Ich bemühe mich ja schon, wieder westlich zu denken.«
    *
    Am gleichen Abend kleideten sie sich unter Assistenz des Kulturattachés in einem der besten Tokioer Geschäfte neu ein. Abels kaufte einen Maßanzug, sechs Seidenhemden, Seidenschlipse, schmale, spitze Schuhe aus weichem Leder, atmungs- und hautsympathische Nylonunterwäsche, diskrete Strümpfe. Er erstand einen Trenchcoat mit ausknöpfbarem Kamelhaarfutter, einen weichen Filzhut und ließ noch einen zweiten Anzug einpacken, etwas dicker im Stoff und dunkler. In Bremen

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