Ein Mädchen aus Torusk
drückte die Zigarette aus. »Humanität ist nicht eine alleinige Erfindung des Westens, Nikolai Stepanowitsch.«
»Auch das hat seinen makabren Hintergrund.«
Ulski hob die Schultern. »In unserer Welt muß man alles bezahlen, auch Humanität. Betty konnte bezahlen. Es war ein reelles Geschäft.«
»Und Tasskan, der Regisseur.«
»Ein armer Mensch. Er starb an Lungenentzündung im Gefängnis von Irkutsk.«
»Ach«, Abels verzog den Mund. »Weiß es Betty schon?«
»Nein. Das hat Zeit.« Peter Ulski sah neben Abels auf die Werkhallen. »Ich würde mich sehr freuen, Ihr Werk einmal besichtigen zu können. Ach so, Betty.« Ulski faltete die Hände vor dem Bauch. »Wir kennen ein altes Sprichwort, Towarisch: Das Böse sollte man einpökeln wie Fleisch, dann bleibt es immer frisch. – Ein guter Spruch, nicht wahr?«
*
Die Canossa-Aktion der Ehemänner brach zusammen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Martin Abels war schneller. Nachdem er die beiden Jungen gesprochen hatte und jedem seine 1.000 DM ausgezahlt hatte, schickte er Einladungen herum.
»Herr und Frau Abels beehren sich, Sie und Ihre Gattin zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung am Samstag um 20 Uhr einzuladen. Bekannte Künstler von Funk und Fernsehen werden auftreten sowie das Ballett der Hamburger Staatsoper. In einer Tombola werden amerikanisch versteigert: Ein Bild ›Das Gerücht‹, eine Skulptur ›Redende Frauen‹ sowie fünfzig andere Gegenstände.
Der Erlös der Versteigerung dient der Unterstützung der osteuropäischen Bibelaktion.
Fernsehen und Presse sind gleichfalls eingeladen.«
In den Villen entlang der Weser saß man mit dicken Köpfen vor dieser auf feinstem Bütten gedruckten Einladung. Man war sich einig, daß dies eine Infamie sei.
Zunächst stand da: Herr und Frau Abels. Nahm man die Einladung an, war das gleichbedeutend mit einer gesellschaftlichen Anerkennung des Mädchens aus Torusk. Sagte man ab, so konnte jeder im Fernsehen sehen, daß man sich vor einer Wohltätigkeitstombola drückte, die zudem noch kirchlichen Zwecken diente. Man mußte also kommen, um sein Gesicht zu wahren. Kurzum, eine Infamie Martin Abels' ohnegleichen.
Einige Rundgespräche wurden wieder geführt und Reeder Holgerson konsultiert, der freudig aus Köln verlauten ließ, Inken gehe es so gut, daß er abkommen könne und selbstverständlich an der Tombola teilnehme. Schließlich einigte man sich auf eine Linie, die absolute Bonner Reife verriet: Man wollte kommen, aber Anuschka nicht die Hand küssen, sondern ihr nur die Hand schütteln. Allein der Handkuß, so legte man fest, komme einer Anerkennung gleich.
Nach diesem diplomatischen Meisterstück, das übrigens Baron von Plessneck ausgeknobelt hatte, sagte man von allen Seiten zu und beglückwünschte Martin Abels zu dieser schönen Idee. Die in die Kur geschickten Frauen wurden zurückgeholt, die Schneiderinnen bekamen ein paar harte Tage, allein Dr. Petermann sah dunkel und beschwor Abels, den Krieg nicht auf die Spitze zu treiben.
»Was hast du vor, Martin?« fragte er. »Ich kenne dich. Diese Tombola ist nicht das Wichtigste. Du hältst etwas verborgen. Du hast eine heimliche Bombe, die du platzen lassen willst.«
»Was du immer denkst«, sagte Abels, aber sein stilles Lächeln war alarmierend. Dr. Petermann seufzte.
»Wäre ich nicht dein Freund, legte ich jetzt alle Mandate von dir nieder.«
»Aber du bist mein Freund, und deshalb geht es weiter.«
Zwei Tage vor dem Fest rief Reeder Holgerson aus Köln an. In der Nacht, heiser und völlig verstört.
Inken hatte hohes Fieber bekommen. Vor einer halben Stunde hatte sie das Bewußtsein verloren. Die Ärzte handelten schnell. Eine Mannschaft von der Chirurgie war zur Orthopädie gefahren worden und hatte sofort mit der Operation begonnen. Ein Thrombus hatte sich im Bein gelöst und war gewandert. Nun saß der Blutpfropf in der großen Lungenvene.
»Der Zustand ist hoffnungslos«, stammelte Holgerson. »Sie operieren noch – ich, ich kann nicht mehr …«
In der Nacht noch flogen Abels und Anuschka in Holgersons Privatflugzeug nach Köln. Die Nachtschwester öffnete nach wiederholtem Schellen, der diensthabende Arzt kam aus seinem Wachzimmer und starrte zunächst verwundert und begeistert Anuschka an, ehe er sich an Martin Abels wandte. Vom Flugplatz Ossendorf, wo die viersitzige Privatmaschine Holgersons gelandet war, hatten sie sofort ein Taxi genommen und waren zur Klinik gefahren.
»Fräulein Holgerson –« sagte der
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