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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und beschmutzten die Regierungsgebäude.
    Welch eine Aufregung! Der Vorsteher rannte heraus und brüllte die unflätigsten Flüche, drei untergeordnete Beamte standen blaß an den Fenstern und stierten auf die blanken Hinterteile der Rotarmisten, ein Offizier ließ sich blicken und redete mit wild gestikulierenden Armen, der Vorsteher riß sich die Mütze vom Schädel, warf sie in den Schnee und zertrampelte sie wie ein wütender Büffel – es war ein großer Krach auf dem Bahnhof von Amasar, bis die Soldaten wieder in ihren Wagen waren.
    Es war kein freundlicher Abschied. Der Vorsteher drohte mit beiden Fäusten und schrie immer wieder etwas, das wie »Wilde Säue!« klang, die Soldaten sangen und grölten, denn auch sie wärmten sich mit Wodka, und wer Wodka kennt, weiß, wie er treibt und die Därme kitzelt, kurzum: Außer für den Vorsteher von Amasar war es ein lustiger Tag, der für viele eisige Sturmstunden entschädigte.
    »Nichts wegschaffen!« brüllte der Vorsteher, als der Zug wieder im Schneedunst untergetaucht war. Er starrte auf die klumpige Verschmutzung der Stationsgebäude, und sein Herz tat ihm weh. »Nichts anrühren! Das bleibt. Das lasse ich einfrieren. Eine Kommission lasse ich kommen! Das ist der Beweis, wie man mit uns Beamten umspringt! Es ist eine Beleidigung des ganzen Fortschritts!«
    Er rannte ans Telefon und rief in Tschita bei der Regierung des Bezirkes an.
    »Genosse!« schrie er in den Hörer und keuchte vor Ergriffenheit und Wut. »Man hat Amasar beleidigt! Kommt her und seht es euch an! Ich hebe es für euch auf, Genossen!«
    In Tschita hatte man aber keine Lust, solche Dinge zu besichtigen. Es schneite ununterbrochen. Man war froh, wenn man wenigstens auf die Straße konnte, um einzukaufen.
    Und so blieb der Schmutz liegen, den ganzen Winter über, bis die Schneeschmelze ihn von allein wegspülte. Das war im Mai! Und bis Mai ärgerte sich jeden Tag der Vorsteher von Amasar, wenn er um sein stolzes Gebäude herumging.
    Kurz vor Tygdinsk – man erkannte es an den Rangiergleisen, an Bauhütten, an Arbeiterkolonnen, die Schneisen in die Wälder schlugen, an zwei Hubschraubern, die Materialkisten über verfilzten Waldstücken absetzten, in denen demnach Menschen hocken mußten – verlangsamte der Zug seine Fahrt. Martin Abels stand an der Tür, hatte sie einen Spalt geöffnet und sah hinaus. Als er wieder Holzstapel auftauchen sah, stieß er die Tür auf, umklammerte seinen Kleidersack und sprang ab, zwischen zwei Holzstapel, die nahe an den Gleisen aufgebaut waren. Er fiel in hohen, angewehten, weichen Schnee, rollte sich an einen der Stapel und zog den Kopf ein. Wie ein Bündel weggeworfener alter Kleider sah er aus, als die Wagen mit den Soldaten an ihm vorbeirollten. Er hörte ihre Rufe, ihr Singen, eine aus dem Fenster geschleuderte Flasche patschte neben seinem Kopf in den Schnee – dann war diese Gefahr vorbeigerumpelt, und der Zug entschwand in einer Biegung des Gleises.
    Martin Abels war in Tygdinsk angekommen. Über ein Drittel des Weges zu Anuschka war geschafft. So schön es war, dies zu denken, er gab sich keiner Illusion hin: Es war das leichteste Stück Weg, das er überwunden hatte. Vor ihm lag noch die Straße zur Lena, der Übergang über den riesigen Fluß, der Weg durch die Taiga, durch das Gebiet von Namana, das so einsam war, daß noch heute die Jakuten Märchen von Geistern erzählten, die dort leben sollen.
    Er klopfte den Schnee von Jacke und Hose, zog die fellgefütterte Mütze eng an den Kopf und ging mit sicheren Schritten das Gleis entlang, hinein nach Tygdinsk.
    Der erste, den er traf, war ein bärtiger Arbeiter, der über einer aufgetauten Weiche stand und mit einem langstieligen Hammer gegen die Schienen klopfte.
    »Es lebe der Fortschritt!« sagte Abels und grinste. Der Mann unterbrach sein Hämmern, sah den Fremden an und wackelte mit der Nase.
    »Hä?« fragte er zurück. Er war anscheinend ein unhöflicher Mensch oder hielt nicht viel vom Fortschritt, wer kann in die Herzen blicken?
    »Wo kann man hier arbeiten?« fragte Abels weiter.
    »Arbeiten? Was denn? Was kannst du denn?«
    »Alles.«
    »Wo kommst du denn her?«
    »Aus Tschita. Dort habe ich Lasten getragen.«
    »Geh zu Michail Jefimowitsch Duganoff. Ingenieur ist er. In der Baracke am ›Platz der BAM‹. Er braucht immer welche.«
    »Danke, Genosse. Ein Schlückchen?« Abels hielt seine Flasche Wodka hin. Ein schäbiger Rest war noch in ihr, er hatte gut hausgehalten.
    »Du bist ein edler

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