Ein Mädchen aus Torusk
beschreiben können. Was ist Torusk ohne Anuschka? Ein Rosenstrauch ohne Blüten.
Und er, der Jäger, sagt, er habe diesen Namen nie gehört.
Das ist nur möglich, wenn es Anuschka nicht mehr gibt.
*
Die Verlobung zwischen Benno Fahrenkrug und Inken Holgerson fand wirklich statt.
Aber es war nur eine Komödie, ein bittersüßes Spiel, das man dem alten Holgerson servierte, weil Inken sah, wie glücklich der alte Herr war, wenn auch sie es war. So spielte sie die glückliche Braut, empfing an ihrem Krankenbett die Gratulanten, ließ das Zimmer zu einer Blumenausstellung werden und versicherte jedem, der es hören wollte – und die Bremer Gesellschaft wollte es hören –, daß sie selig sei und Benno wirklich liebe.
Nach dem Sturm, nach dem Sektfrühstück, das Reeder Holgerson im Krankenzimmer mit Billigung von Professor Dahrfeld abhielt, nach den vielen hohlen Redensarten und gesellschaftlichen Phrasen waren sie endlich allein. Das junge Brautpaar. Die beneideten jungen Leute, auch wenn das Gerücht ging – und Gerüchte laufen in Gesellschaftskreisen schneller als Taifune –, Inken Holgerson werde zeit ihres Lebens ein Krüppel bleiben, und Benno Fahrenkrug habe sein Eheversprechen nur eingelöst, weil er ein Ehrenmann war.
»Ich danke dir, Benno«, sagte Inken müde und ließ den Blick über die riesigen Blumenarrangements gleiten. »Du hast dich tapfer gehalten.«
»Tapfer? Aber Kleines!« Er setzte sich auf das Bett und küßte Inken. »Für mich ist das alles Wirklichkeit.«
»Wir waren uns einig, Benno, daß …«
»Ich weiß, ich weiß, Kleines. Aber ich habe die große Hoffnung, daß wir in unsere Rolle hineinwachsen und später gar nicht mehr anders können, als so weiterzuleben.« Benno Fahrenkrug streichelte Inkens blasses Gesicht. »Ich muß dich leider auf Raten lieben … jeden Tag ein Schrittchen näher an dein Herz heran …«
»Benno.« Inken schloß die Augen. »Wäre der Unfall nicht gekommen … es könnte so schön sein.«
»Es ist schön, Inki! Es wird nicht lange dauern, und du hast diesen Schock überwunden. Ob du neben mir gehen kannst, oder ob ich dich herumfahre, mein Gott, du bleibst doch du!« Er richtete sich auf und sah an die weißgetünchte Wand. »Es sei denn, du liebst mich nicht, Inki …« Er zögerte weiterzusprechen, aber dann sagte er es doch. »Spukt dieser Martin Abels noch immer herum?«
»Nein.« Inken Holgerson öffnete die Augen. »Das ist vorbei, Benno. Endgültig vorbei.«
»Na also!« Er sprang auf und breitete die Arme aus. »Was hindert uns dann noch, wirklich glücklich zu sein?«
Und Inken Holgerson lachte.
Es war ein hoffnungsvolles, freies Lachen.
*
Zwölf Tage zogen sie nun gemeinsam durch die Wildnis Sibiriens, bis sie die Lena erreichten.
Es hatte sich herausgestellt, daß die fünf Jäger nicht auf dem Weg nach Süden, sondern wie Abels nach Norden waren. Es waren keine seßhaften Fallensteller, sondern Nomaden, die im Winter über ganz Sibirien ausschwärmten und sich im Sommer – wie eine riesige Familie – an der Lena bei Turij-Wswos trafen. Dort, wo der Strom sich mächtig verbreitert, wo man kaum das andere Ufer sieht und breite, flache Inseln, Sand- und Steinbänke in den gurgelnden Wassern liegen. An einer Stelle, nördlich der Mündung des Aldan in die Lena, wird sie über fünf Kilometer breit. Ein Strom von 5.000 Meter Uferferne … na, ist das nicht ein gewaltiges Schauspiel der Natur, Genossen? Ist das nicht ein herrliches, ein einmaliges Land? Wird einem da nicht das Herz weit vor Freude darüber, Gottes Geschöpf zu sein?
In den zwölf Tagen ihrer gemeinsamen Wanderung nach Norden umgingen sie die Faktorei Jenjuka, denn der Halbmongole hielt nicht viel von Staatsfunktionären, von Papierkontrollen und langen Fragen. »Wir sind freie Menschen«, sagte er. »Wir kennen das Land seit Jahrhunderten. Was will er denn, der Faktoreikommissar? Er soll sich um die Weiber kümmern, aber uns in Ruhe lassen.« Das war keine gute bolschewistische Rede, aber wen wundert's? Wie kann Lenins Gedanke klar und rein in den Urwald kommen, von dem drei Fünftel noch jungfräulich sind?
So erreichten sie bei grimmigem Frost das von Gott und den Tieren und erst recht von den Menschen verlassene Land zwischen Lena, Olekma und Tolba, eine riesige Waldfläche, flach wie ein Tisch, am Horizont eingerahmt von Bergen, durchheult vom Sturm, der hier wie durch einen Trichter zur Lena blies und von der Grausamkeit des Väterchens Frost sang.
»Hier
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