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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werden wir zwei Wochen bleiben«, sagte einer der Jäger zur Verwunderung Abels'. »Es ist nötig, sich auszuruhen, ehe wir weiterziehen.« Er sah Abels mit vorgewölbter Unterlippe an, als müsse er nachdenken, ob man den Unbekannten auch jetzt noch weiter mitnehmen durfte.
    »Glaubst du an Gott?« fragte der Jäger. Abels nickte.
    »Ja, Brüderchen«, antwortete er erstaunt.
    »Und wie steht's mit deinem Kommunismus, Nikolai Stepanowitsch?« fragte der Halbmongole.
    »Man muß ihn haben, Genossen. Ihr wißt doch …«
    »Wir kennen dich noch nicht gut genug.«
    »Ich suche den Norden wie ihr, Brüder.«
    »Torusk?«
    »Ja.«
    »Turganow?«
    »Ja. Und ein Mädchen Anuschka. Die Tochter Turganows.«
    Die Jäger sahen sich an. Er mag sein Geheimnis haben, dachten sie. Wir alle haben das unsrige. Schweigen wir darüber. Was geht's uns an, warum er nach Torusk will. Politisch ist es nicht. Das Mädchen Anuschka, o Brüderchen, wer soll das glauben? Aber ein guter Kerl bist du. Du hast's bewiesen … bei dem toten Groschew, dem du ein Grab im steinharten Boden geschaufelt hast, sogar mit einem Kreuz darüber, bei dem Marsch der zwölf Tage, auf dem du deine Freßsäcke mit uns geteilt hast wie ein Bruder. Du bist ein guter Mensch, Nikolai Stepanowitsch.
    Der Halbmongole nickte. »Also gehen wir zu Vater Matwej, Brüder«, sagte er. »Es wird sich alles finden …«
    Die nächsten Stunden wurden grausam.
    Sie fuhren an der Lena vorbei, immer am Uferstreifen, auf vereisten Wegen, durch Dschungel und Wälder, über klirrende Sümpfe und durch dorniges Gebüsch. Das Pferdchen Abels' scheute ein paarmal, die Gefahr ahnend. Auch Akja, der Wolfshund, der meist vorauslief, blieb öfter stehen und starrte auf Stellen, die sie später überfuhren. Vorweg lief auf seinen Schneeschuhen der Halbmongole, weit ausgreifend. Wie eine Maschine waren seine Beine, die Werst nach Werst unter sich wegfraßen.
    »Noch eine Stunde«, sagte einer der Jäger, »dann sind wir bei Väterchen Matwej.«
    Abels ahnte, daß sie jetzt ein weites Sumpfgebiet durchfuhren. Im Frühjahr und Sommer war es unbegehbar, im Herbst ein lauernder Tod, und nur im Winter gab es Wege, die tief genug gefroren waren, um sie zu befahren. Aber wer vom Frühling bis zum Herbst nicht diesen Sumpf durchstreift, wird auch im Winter keine Sehnsucht haben, den Tod herauszufordern.
    Kurz vor dem Ziel – so schien es, denn der Halbmongole wurde schneller in seinen Schritten wie ein Gaul, der die Krippe ahnt – brummte es über ihnen am fahlblauen Himmel. Ein Hubschrauber kreiste über der zugefrorenen Lena, deren Eisschollen sich meterhoch übereinandergeschoben hatten; bizarre Berge aus, erstarrtem Wasser, manchmal von einer künstlerischen Schönheit, vor allem dann, wenn die Sonne darauf schien und das Eis blauweiß leuchtete und die Schollentürme wie von innen zu flammen schienen.
    Als der Hubschrauber über ihnen kreiste, drückten sie sich in den Wald und wurden eins mit Eis, Schnee und Kiefernwipfeln. Der Halbmongole hatte ein hartes Gesicht bekommen.
    »Sie suchen Väterchen Matwej«, sagte er. »Sie geben nicht auf. Man sollte sie am Himmel explodieren lassen.«
    In diesem Augenblick klapperte es laut in der eisigen Luft, der Hubschrauber schwankte, ging tiefer, versuchte, von der Lena zu entkommen, aber es gelang nicht mehr, die Heckpropeller drehten sich nicht, er rutschte, fiel und fiel und kam den aufgetürmten Eisschollen immer näher.
    »Der große Geist hat meinen Fluch gehört!« schrie der Halbmongole wild. Er tanzte auf seinen Schneeschuhen, er heulte und klatschte in die Hände, er vollführte ein Spektakel wie ein Irrer.
    Der Hubschrauber bäumte sich noch einmal auf. Man hörte es kreischend heulen, mit aller Kraft drehten sich die vorderen Propeller – und dann fiel er vom Himmel, wie ein Stein, sag' ich euch, krachte auf das Eis der Lena und überkugelte sich wie ein weggetretener Ball. Aus der zerbrochenen Glaskanzel krochen jetzt zwei dunkle Gestalten über das Eis, auf Händen und Knien, schwankend, zusammenbrechend, sich aufrichtend und weiterkriechend. Schwarze Insekten auf dem bläulich schimmernden Lena-Eis.
    Aber sie blieben nicht allein. Aus dem Sumpfwald am Ufer brach eine Horde Männer in zotteligen Pelzen, Äxte und Eisenstangen schwingend, und vor ihnen her rannte ein Riese von Mensch über das Eis, den beiden kriechenden Piloten entgegen. Ein Mann wie ein Urweltbär, ein Gewehr in der Hand, mit einem weißen Bart, der ihm beim Laufen

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