Ein Mädchen aus Torusk
über die Schultern flatterte.
»Väterchen Matwej!« schrie der Halbmongole. »Er ist's. Er lebt noch! Väterchen Matwej! Gesegnet sei diese Stunde!«
Und dann rannten sie alle auf das Eis des Stromes, rannten den beiden kriechenden, taumelnden Wesen entgegen, die aus dem abgestürzten Rieseninsekt geschleudert worden waren.
Martin Abels blieb am Ufer zurück. Auch Akja blieb und setzte sich neben ihn, obwohl er vor Jagdlust wimmerte und weinte.
Was ist das, dachte Abels. Sein Herz stockte vor Aufregung. Wohin bin ich geraten? Wer ist dieser Vater Matwej, dessen weißer Bart neben ihm herweht wie eine Fahne? Wie können hier, in dieser wilden Einsamkeit, so viele Menschen leben?
Er sah, wie man die abgestürzten Piloten vom Eis riß und wegtrug wie Holzstücke.
Er wartete einige Minuten im Schutz des Waldes, hörte aus der Ferne die lauten Stimmen der Menschenhorde und hatte Mühe, Akja zu beruhigen, der auf seinem Platz herumtrampelte und große Lust hatte, über das Eis und zu den anderen Männern zu jagen.
Dann kam der Halbmongole zurück, mit glänzendem Gesicht, über das der Schweiß rann, er lachte, ruderte mit den Armen durch die eisige Luft, und es fehlte nicht viel, er hätte getanzt.
»Zwei Soldaten!« schrie er. »Brüderchen Nikolai! Zwei Stück! Sie haben Vater Matwej gesucht, aber dann froren ihre hinteren Propeller ein – und hui, lagen sie auf dem Eis. Nun werden sie getötet werden, es bleibt gar keine andere Wahl.«
»Wo sind wir denn hier?« fragte Abels.
»Du wirst es sehen. Komm mit! Sie wissen, daß ein Fremder kommt.«
Der Halbmongole nahm das Panjepferdchen vorn am Halfter und stapfte durch den Wald. Abels blieb auf dem Schlitten, Akja lief bellend neben dem Pferdchen her. Und plötzlich kamen sie auf einen in die Wildnis geschlagenen Weg, zwischen den Bäumen sahen sie Erdbunker, vor deren Eingang bewaffnete, langbärtige Männer standen und zu ihnen herüberstarrten.
Sie brauchten etwa zehn Minuten, bis sich Abels eine völlig neue Welt auftat. Blockhütten, errichtet auf einem Kahlschlag mitten im Urwald, standen eng beieinander und bildeten ein Dorf. Eine kleine Kirche mit dem russischen Doppelkreuz auf dem First stand mitten unter ihnen. Erdbunker und Unterstände, Vorratslager und Kartoffel- und Kohlmieten durchzogen den gerodeten Wald wie Buckel. Auf einem großen, freien Platz standen jetzt Frauen und Kinder und starrten auf die beiden abgestürzten Flieger. Sie lagen vor der Kirche im Schnee, gefesselt und wie Bündel zusammengeschnürt. Vom Eis der Lena hörte man laute Stimmen. Dort war ein Trupp Männer an der Arbeit, das Hubschrauberwrack zu zerlegen und in den Wald zu bringen. Es schien gefährlich zu sein, Spuren zu hinterlassen.
Der Riese mit dem fliegenden weißen Bart kam Abels entgegen, als der Schlitten auf dem Dorfplatz hielt und der Halbmongole dem Pferdchen auf den Hals klopfte.
»Gott segne dich, Fremder!« sagte der Riese. Die Pelzmütze aus Bärenfell verlängerte seinen Körper ins Unförmige. Aus dem breiten Gesicht sahen graue Augen forschend auf den unbekannten Eindringling. Abels senkte den Kopf und schlug das Kreuz, wie es ein guter gläubiger Russe tut. Der bärtige Riese musterte ihn weiterhin stumm.
»Ich bin Vater Matwej«, sagte er dann mit tiefer Stimme, die an den Tonfall eines Popen erinnerte. Er nestelte an seinem Pelzmantel und holte ein goldenes Kreuz von der Brust. Mit ausgestrecktem Arm hielt er es Abels vor, und dieser beugte das Knie und küßte es. Vater Matwej schien zufrieden zu sein. Ein Bolschewist tut das nie, das wußte er. Hier war ein Freund gekommen.
»Du bist jetzt in der Gemeinschaft der ›Wahrhaft rechtgläubigen fahrenden Christen‹, mein Bruder«, sagte er und steckte das Kreuz wieder weg. »Du kommst aus dem Land des Antichristen und wirst Frieden finden als Kind Gottes.« Er griff noch einmal in seinen Mantel, holte aus einer Tasche ein Stück glitschiges Brot hervor und zerbrach es. »Hier, iß, was Gott gesandt hat. Er ist unsere Stärke, er ist unser Hort, er gibt den Tag, er gibt den Tod. Wir liegen in seiner Hand wie Samenkörner und wachsen nach seinem Willen.«
Abels zerkaute das saure, matschige Brot, schluckte es tapfer hinunter und nahm seine Fellmütze ab.
»Ich heiße Nikolai Stepanowitsch Arkadjef«, sagte er höflich.
»Du trägst einen wilden, nach Hölle riechenden Namen. Bei uns wirst du Bruder Minja heißen.« Er breitete die Arme weit aus, und Abels wußte, daß er jetzt den Bruderkuß
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