Ein Mädchen aus Torusk
daß ich euch finde. Ich habe einen Kranken im Schlitten.«
Der Jakute betrachtete Abels stumm. Dann schien es, als erkenne er, daß alles richtig sei, er wandte sich um und rief in jakutischer Sprache einige Worte. Ein anderer Jäger trat auf Abels zu, ein Mann mit einem gelben Gesicht, ein Halbmongole.
»Ein Kranker? Was hat er?«
»Blinddarmentzündung, Genosse.«
Die Jäger sahen sich an. Was auch Abels wußte, lag stumm in ihren Augen. »Führ uns hin, Genosse«, sagte der Halbmongole.
Im Schlitten untersuchte er den Ohnmächtigen, winkte, sie hoben ihn aus den Decken und trugen ihn zum Feuer. Dort legte man ihn auf einen Bärenpelz, zog ihm die Hosen aus und betrachtete den geschwollenen Leib.
»Ich habe schon viele geschnitten«, sagte der Halbmongole. »Einem Hund habe ich schon einen Stein aus dem Magen geholt und einem Pferd ein Geschwür am Hals. Aber ein Mensch …« Er sah auf den aufgetriebenen Bauch. Wer sein Leben in der Wildnis verbringt, hat keine Angst und kann sich helfen. Uralte Zauberformeln sind ebenso wirksam wie ein scharfes Messer. Hier hatte es keinen Sinn, mit dem mongolischen Spruchschatz die Geister wegzubeten. Hier konnte man nur dabeistehen und auf den Tod warten. Aber auch das war nichts Besonderes. Was ist der Tod schon, wenn man mit ihm auf du und du lebt?
Der Halbmongole, schweigsam wie alle um das Feuer, holte aus einem Lederkasten ein langes, gebogenes, scharfes Messer. Er steckte die Klinge in die feurige Asche und ließ sie rotglühend werden. Dann kühlte er das Messer kurz ab, indem er es in den Schnee stieß. Zischend schmolz um das Messer herum der Schnee.
»Haltet ihn fest«, sagte der Halbmongole zu den anderen. »An Beinen und Armen, Brüder, und einer setzt sich auf die Brust.«
Was dann geschah, vergaß Martin Abels nie. Der Halbmongole setzte das Messer auf den prallen Leib des Kranken, und so wie man ein Schaf absticht, trieb er die Spitze des Messers in das Fleisch und schnitt schnell die Bauchdecke in einer Länge von fünfzehn Zentimetern auf. Die Wunde klaffte auseinander, Blut und Eiter quollen heraus und liefen über den nackten Unterleib in den Schnee. Mit seinen Händen griff der Jäger in die Wunde, erweiterte sie und verursachte so einen starken Blutfluß, der den Eiter mitriß und den gespannten Leib zusammensinken ließ wie einen angestochenen Ballon, dem die Luft entweicht.
Der Halbmongole ließ die Wunde offen. Womit sollte er sie auch schließen? Er legte einige Lagen Zellstoff, die er in dem Sanitätskästchen verwahrte, darauf, wickelte stramm einige Binden um den schmächtigen Körper und deckte ihn dann mit dem Bärenfell zu. Als er sich erhob, glänzte sein Gesicht wie das eines Chirurgen nach einer gelungenen schweren Operation.
»Er wird ruhig sterben«, sagte er, streckte die Hände, die voller Blut und Eiter waren, in den Schnee und wusch sie. »Er wird nicht mehr zerplatzen. Mehr, Brüder, konnte man nicht tun. Ihr habt es doch gesehen.«
Die anderen nickten. Auch Abels nickte. Nein, mehr konnte man hier in der sibirischen Einsamkeit nicht tun. Man hätte auch in Jenjuka nicht mehr tun können, denn der Kranke wäre nie lebend dorthin gekommen.
Während die anderen das gebratene Ren aßen und Abels wortlos ein großes Stück abgaben, saß er neben dem Sterbenden. An einer Drehung des Kopfes merkte er, daß dieser aus der Ohnmacht erwachte und nach seinem Leib tastete. Er erkannte, was mit ihm geschehen war, und über sein Gesicht, das langsam verfiel, huschte ein dankbares Lächeln.
Abels beugte sich über seine Lippen.
»Ich bin Maxim Fjodorwitsch Groschew«, sagte der Sterbende kaum hörbar. »Maxim Groschew … kennen Sie mich?«
»Nein«, sagte Abels und tupfte den Schweiß von Groschews Stirn.
»Professor Groschew, Genosse … Literatur … Universität Moskau … Vor sechs Jahren nach Karaganda … dann Babuschkin … dann Woroschilowa … Lebenslänglich … Ich habe aber die Wahrheit gesagt … nur die Wahrheit, Genosse …« Groschew stöhnte und legte beide Hände auf den aufgeschlitzten Bauch. »Es tut nicht weh«, sagte er plötzlich mit klarer Stimme. »Ihr habt mir den Bauch geöffnet?«
»Der Genosse dort.« Abels zeigte auf den kauenden Halbmongolen.
»Ich weiß, daß alles zu Ende ist.« Groschew tastete nach der Hand Abels'. »Daß ihr es mir leichter macht, mag euch die Mutter Gottes lohnen.« Er seufzte. Es war eine Lüge, daß er keine Schmerzen mehr hatte, aber sie waren erträglicher geworden. Der
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