Ein Mädchen aus Torusk
beiden abgestürzten Flieger hereingetragen und vor den Altar gestellt. Sie sahen schrecklich aus, nicht durch ihren Absturz, sondern durch die Behandlung, die sie hinterher erlitten hatten. Da sie mit Eissplittern überzogen waren, schienen sie in einem ungeheizten Raum gelegen zu haben. Es war ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebten, daß ihre Augen sich bewegten, daß ihre Finger sich in das Holz der Bahren krallten, daß sie versuchten, den Kopf zu heben, daß ihre Lippen sich mühten, einen Laut hervorzulassen. Mit starren Augen bemerkten sie die Kerzen, die man aus reinem Bienenwachs zog, sahen auf den weißen Bart des Riesen Matwej und auf das Meer der bärtigen Köpfe im Kirchenraum. Auch Martin Abels starrten sie an. Er stand neben dem Halbmongolen seitlich des Altars; ein Ehrenplatz, den ihm Vater Matwej gegeben hatte.
Hinter dem Altar, den man umschreiten konnte, begann ein dumpfer Chor zu singen. Es waren herrliche Stimmen, dunkle Bässe und jubelnde Töne, aber das Lied, daß sie sangen, war eine Totenklage und tönte wie aus einer offenen Gruft.
Dann sprach Vater Matwej, pastoral, mit tiefer Stimme, die Hände gefaltet über dem mächtigen Leib, den weißen Bart wie eine Stola darübergelegt. Er erzählte eine Geschichte. Die Geschichte der ›Wahrhaft rechtgläubigen fahrenden Christen‹, die sich aus der Welt des Ungeistes gelöst hatten und die Menschen verdammten, die aus Kirchen Wodkafabriken und aus Klöstern Sowchosen gemacht hatten. Er erzählte von den Märtyrern ihrer Gemeinschaft; von der Jagd, wie man sie nicht schlimmer auf reißende Wölfe macht; von der Kraft Gottes, die sie hierher an die Lena geführt hatte, und von dem Willen, weiterhin ein Pfahl im Fleische des Bolschewismus zu sein.
»Es ist Gottes Wille, uns zu verteidigen«, sagte Vater Matwej und blickte auf die beiden halbtoten Soldaten zu seinen Füßen. »Aber wir haben geschworen, Brüder, nie eine Hand zu heben, um einen Bruder zu töten! Wir sind zum Opfer bereit, aber wir opfern nicht. Gott hat uns die Welt gegeben, Gott wird uns von ihr nehmen. Und so soll Gott auch gnädig sein mit den beiden verirrten Menschen, die über uns hinwegflogen, um uns zu verraten und zu vernichten.« Er winkte. Vier bärtige stumme Männer hoben die Bahren auf und schritten mit ihnen den Mittelgang entlang, langsam, feierlich, als trügen sie ein Heiligtum zur Prozession. Hinter dem Altar begann der Chor wieder zu singen, diesmal jubilierender, lobpreisend und dankend. Die Stimme Matwejs, mächtig wie ein Orgelton, übertönte den Gesang. »Wir geben sie in Gottes Hand!« rief er. »Er sei ihnen gnädig.«
Abels wandte den Kopf zu dem Halbmongolen und flüsterte ihm ins Ohr. »Was geschieht mit den beiden Fliegern?«
»Man legt sie zurück auf das Eis der Lena, dort, wo sie abgestürzt sind.«
»Und dann?«
Über das breitknochige Gesicht des Halbmongolen lief ein Grinsen. »Gott sei ihnen gnädig. Väterchen Matwej hat es gesagt. Sie kamen unwillkommen … niemand hat sie zu Gast geladen.«
Nach der Feier – und alles, was in dem Dorf geschah, war eine Gemeinschaftsarbeit und wurde eingebettet in einen gottesdienstähnlichen Kult – trafen sich die Männer hinter der Kirche und rauchten. Dimitrij, der Jäger, klopfte Abels auf die Schulter.
»Na, war das nicht typisch Vater Matwej, Nikolai Stepanowitsch?« lachte er rauh. »So kann man sich die Finger sauberhalten und doch zwei Menschen töten.«
In der Nacht verließ Martin Abels seine Hütte. Dimitrij schlief fest. Er schnarchte wie ein vollgefressener Bär. Auch seine Gastgeber schliefen auf dem Ofen. Zusammen mit Akja lief er hinunter zur Lena, kletterte über die aufgetürmten Eisschollen, rutschte, schlug hin, kroch über das blanke Eis, hielt sich am zotteligen Fell Akjas fest, der mit seinen Krallenpfoten besser Halt fand als er.
Zwischen zwei Eisschollen fand er die Flieger. Sie lagen auf dem blanken Eis, so wie sie abgestürzt waren, in ihren Uniformen, schutzlos und zerschlagen.
Es dauerte zwei Stunden, bis Martin Abels Leben in die starren Gestalten brachte. Aus seiner Feldflasche träufelte er ihnen heißen Tee mit Wodka zwischen die Lippen, er rieb ihre Arme und Beine, klopfte ihre Brust, schüttelte sie, ohrfeigte sie minutenlang, bis das Blut in die Haut zurückkehrte. Dann zog er sie einzeln zum Ufer, trug sie in den Wald und zwang sie, weiter von dem heißen Tee zu trinken.
»Danke … danke … Genosse …«, stammelte nach zwei Stunden der erste von
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