Ein magischer Walzer
diesen Wahnsinn zu versuchen?“
„Oh, ich habe es schon Dutzende Male versucht“, verbesserte sie Sebastian. „Ich habe ewig üben müssen. Heute ist es mir zum ersten Mal gelungen, einen Zweig aufzuheben. “ Sie schwenkte ihn fröhlich.
Ihre heitere Unbekümmertheit erzürnte ihn. Er war sprachlos. Die Vorstellung, dass sie ihren schönen Hals jeden Morgen riskierte, raubte ihm den Atem. Wie konnte sie nur?
Schließlich hatte er sich so weit unter Kontrolle, dass er wieder sprechen konnte. „Um Himmels willen, tun Sie das nie wieder“, knurrte er, während sein Herz von dem Schrecken noch wild klopfte. „Warum, zum Teufel, erlaubt Ihnen Ihr Reitknecht das eigentlich?“
„Erlauben? James?“ Sie lachte glucksend. „Ihm bleibt nichts anderes übrig. Er könnte mich nicht aufhalten, wenn er wollte.“ Verzogen. Eine verwöhnte, behütet auf gewachsene Tochter aus adeligem Haus, der man ihr ganzes Leben lang jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr jemals etwas zustoßen würde. Während sich Sebastian nur zu deutlich ausmalen konnte, wie sie mit gebrochenem Genick oder zerschmetterten Gliedern dalag ... Der Gedanke war zu schrecklich, um in Worte gefasst zu werden. Am liebsten wollte er sie vom Pferd reißen und in Watte packen. „Klingt mir nach einer armseligen Entschuldigung für einen Reitknecht“, bemerkte er knapp.
„Genau genommen ist er unser Lakai, kein Reitknecht. Aber trotzdem macht er seine Sache gut. James kennt uns schon unser Leben lang. Er mag es nicht, wenn ich diese Kunststückchen mache, aber er weiß, er kann es nicht verhindern. Darum kommt er mit, um wenigstens ein Auge auf mich zu haben.“
Sebastian schaute sich um und erklärte beißend: „Das macht er ausgezeichnet. Er ist ja eine gute halbe Meile weit weg.“
Sie lachte wieder. „Oh, das ist meine Schuld. Ich stifte den Stallburschen immer an, ihm ein langsameres Pferd zu geben. Heute hat er eine richtige Schnecke bekommen.“
Was sie brauchte, war eine wesentlich festere Hand am Zügel, dachte er. Wenn er für sie verantwortlich wäre, wäre sie nicht früh am Morgen im Park allein und schutzlos unterwegs und würde auch ganz gewiss nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, um einen Zweig aufzuheben! Würde sie ihm gehören, wären sie beide nicht am frühen Morgen draußen! Eine Vision erschien vor seinem Auge, wie sie in seinem Bett lag. Er schluckte und verdrängte das Bild. Um den Augenblick der Schwäche zu überspielen, sagte er barsch: „Die Aufgabe eines Reitknechtes ist es, für Ihre Sicherheit zu sorgen, nicht zuzusehen, wie Sie sich Mühe geben, sich den Hals zu brechen.“
„Unsinn! James liegt viel an meiner Sicherheit“, widersprach sie. „Er hat sich sogar eigens diesen Gurt hier ausgedacht. Nur damit gelingt es mir überhaupt.“ Sie zog ihren Reitrock hoch und zeigte ihm den Ledergurt.
Sebastian warf einen flüchtigen Blick darauf und versuchte nicht zu bemerken, wie eng sich der Stoff ihrer Röcke um ihre anmutig geformten Beine schmiegte. Er sagte nichts, denn er war zu wütend, dass ihr sogar dabei geholfen wurde, dieses Wagnis für einen nutzlosen Trick einzugehen.
„Vorher bin ich zu oft vom Pferd gefallen.“
Er war so entsetzt, dass er am Zügel gezerrt haben musste. Sein Pferd wurde abrupt langsamer, und sie ritt an ihm vorbei, aber er hatte sie gleich wieder eingeholt. „Sie sind heruntergefallen?“ Warum, verflixt, war sie so darauf aus, ihr Leben für solchen Unsinn aufs Spiel zu setzen?
Sie lachte. „Nur kleinere Stürze. Ich bin sehr vorsichtig, wissen Sie.“
„Vorsichtig? Wenn Sie das unter vorsichtig verstehen, dann sollte man Sie einsperren“, knurrte er, halb zu sich selbst.
Augenblicklich wurde ihr Gesicht ernst. „Ich weiß nur zu genau, wie es ist, eingesperrt zu sein, Mr. Reyne“, sagte sie. „Genau das ist der Grund, weshalb ich die Freiheit so schätze, Sachen wie dies hier zu tun.“ Ohne Vorwarnung galoppierte sie fort, lenkte ihren Wallach in eine unerwartete Richtung.
Er riss sein Pferd herum und folgte ihr, aber sie hatte einen zu großen Vorsprung, und er konnte sie nicht rechtzeitig einholen. Unter seinem entsetzten Blick beugte sie sich einmal mehr seitwärts zum Boden, streckte die Hand aus und hob einen weiteren Zweig auf.
„Ha!“ Wieder schwenkte sie siegreich den Zweig.
Wutentbrannt angesichts dieser Provokation, trieb Sebastian sein Pferd an. Dieses Mal hatte er keine Zweifel. Als er sie erreichte,
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