Ein Mann für alle Sinne - Roberts, N: Mann für alle Sinne
fünf Uhr nachmittags waren sie praktisch konstant unterwegs gewesen. Der Flug nach Chicago ging um sechs Uhr.
Morgen bliebe keine Zeit, sich Gedanken oder Sorgen über das zu machen, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war, geschweige denn darüber zu reden. Und genau so hatte sie es ja auch gewollt. Dennoch gelang es ihr nicht, am Plan für die beiden Tage in Chicago zu arbeiten. Sie konnte nur an den Mann denken, der sich wenige Meter entfernt auf der anderen Seite des Hotelflurs aufhielt.
Sie hatte nicht einmal geahnt, dass Carlo so kalt sein konnte. Eigentlich war er immer herzlich und warm, so voller Leben. Sicher, er konnte auch schwierig sein und einen wütend machen, aber wenn, dann tat er es mit Schwung. Nur jetzt ... Er hatte sie in einem Vakuum zurückgelassen.
Nein. Juliet warf ihr Notizbuch beiseite und stützte das Kinn in die Hand. Nein, sie selbst hatte sich in diese Leere hineinmanövriert. Vielleicht könnte sie es ertragen, wenn sie im Recht gewesen wäre. Aber das war sie nicht. Sie lag völlig daneben. Sie hatte Tim, dem Trottel, keine Signale gesandt, und wenn sie an Carlos Unterstellung dachte, begann sie immer noch zu schäumen, aber ... Sie hatte Carlo nicht einmal für seine Hilfe gedankt. Ob sie es nun zugeben wollte oder nicht, sie hatte seinen Beistand gebraucht. Es war schwer für sie, dass sie in seiner Schuld stand.
Mit einem Achselzucken erhob Juliet sich und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Vielleicht war es ja sogar besser, wenn er für den Rest der Tour kalt und distanziert blieb. So würde es auf jeden Fall weniger persönliche Probleme geben, weil das Persönliche erst gar nicht ins Spiel kam. Es würde keine Schwierigkeiten mit ihrer Beziehung geben, weil sie keine Beziehung miteinander hätten. Rein logisch betrachtet war dieser kleine Zwischenfall wohl das Beste, was ihr hatte passieren können. Es war eigentlich unwichtig, ob sie falsch- oder richtiglag, solange sie mit dem Resultat umgehen konnte.
Sie ließ den Blick durch den kleinen, ordentlichen, unpersönlichen Raum gleiten, in dem sie knapp acht Stunden verbracht hatte.
Nein, das würde sie nicht durchhalten.
Mit einem ergebenen Seufzer ließ Juliet den Zimmerschlüssel in die Tasche ihres Morgenmantels gleiten.
Natürlich hatten Frauen ihn schon vorher wütend gemacht. Carlo wünschte es sich sogar, denn sonst wurde das Leben zu langweilig. Und auch das Gefühl der Abweisung und der Enttäuschung kannte und schätzte er. Wie sollte man den Erfolg voll auskosten können, wenn man keine Frustration als Gegenpol kannte?
Aber noch nie hatte eine Frau ihn verletzt. Bisher hatte er nicht einmal geahnt, dass diese Möglichkeit bestand. Frustration, Rage, Leidenschaft, Lachen, Streit. Kein Mann, der die Frauen kannte – als Mutter, Schwestern, Geliebte – bildete sich ein, eine Beziehung könnte ohne all das auskommen. Schmerz allerdings ... Schmerz war eine komplett andere Sache.
Verletzt zu werden war ein intimes Gefühl. Persönlicher als Leidenschaft, elementarer als Ärger. Wenn der Schmerz tief ging, fand er Stellen im Innern, an die besser nicht gerührt werden sollte.
Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, wenn man ihn als Schürzenjäger, als einen Don Juan, als Playboy titulierte – welchen Ausdruck man auch immer für einen Mann nutzen wollte, der die Frauen liebte. Affären ergaben sich und endeten, so wie das allgemein von Affären erwartet wurde. Sie dauerten so lange wie die Leidenschaft, die sie initiiert hatte. Er war ein umsichtiger Mann, ein vorsichtiger Mann. Eine Geliebte wurde zur Freundin, wenn die Leidenschaft schwand. Solange eine Affäre dauerte, mochte es Streit und böse Worte geben, aber niemals beendete er sie auf diese Weise.
Ihm kam der Gedanke, dass er mit Juliet öfter gestritten und böse Worte gewechselt hatte als mit jeder anderen Frau. Dabei hatten sie nicht einmal miteinander geschlafen. Und das würden sie auch nicht. Carlo schenkte sich ein Glas Wein ein, setzte sich in den tiefen Sessel und schloss die Augen. Er wollte keine Frau, die ihn mit einem muskelbepackten Idioten auf eine Stufe stellte, der nicht die geringste Ahnung von dem Unterschied zwischen Lust und Leidenschaft hatte. Er wollte keine Frau, die den mitreißenden Zauber des Liebesakts mit – Dio ! Wie hatte sie es ausgedrückt? – einem Schäferstündchen im Wasserbett verglich.
Er wollte keine Frau, die dieses schmerzhafte Sehnen in ihm wachrief – mitten in der Nacht, mitten am Tag.
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